Und die Erwartung der anderen? Ich kenne die Erwartung von anderen, die sagen: «Du musst dich mal ein bisschen mehr kümmern, du bist doch die Tochter.» Als mir das gesagt wurde, war ich tief getroffen und habe geweint. Das ist die denkbar schlechteste Reaktion, oder?
Nein, Emotionen zu zeigen, ist immer gut. Zunächst einmal sind die Erwartungen von anderen nichts anderes als die Erwartungen von anderen. Wie wir darauf reagieren, das ist unsere Sache. Du kannst sagen: «Das ist deine Meinung.» oder dich rechtfertigen. Wenn es einen trifft, dann sollte man genauer hinschauen. Hat man tief im Inneren vielleicht dieselbe Erwartung? Hat man sich noch nicht die Erlaubnis gegeben, sich gut um sich zu kümmern?
Sind unsere Ansprüche als Elternkümmerer überhöht?
Wenn man vorhat, die Erwartungen der Eltern und der anderen und die eigenen zu erfüllen, dann ist das die perfekte Bedingung, um in den Burnout zu schlittern. Klar, möchte man helfen und möglichst perfekt. Sich einzugestehen, dass man das, was man von sich selber erwartet, nicht schafft, ist ein schwieriger Prozess, da muss man sich auch mal ehrlich gegenüber sein.
Als mein Vater damals die Krebs-Diagnose bekommen hat, da war das für mich das allererste Mal in meinem Leben, dass ich gemerkt habe, egal, wie sehr ich mich anstrenge und wie viel ich mache, ich werde ihn nicht retten können.
Eigentlich furchtbar, das einzusehen.
Ja, aber gleichzeitig, war es auch eine Befreiung. Ich habe gemerkt, dass ich ihn zwar nicht retten kann, aber er jetzt noch da ist. Und jetzt kann ich für ihn da sein und unsere gemeinsame Zeit so wertvoll und liebevoll wie möglich gestalten.
Ich habe mich nach der Diagnose viel angestrengt und auch jetzt will ich ganz viel für meine Mama da sein – aber bin dann oft traurig und irgendwie enttäuscht von mir.
Ich erlebe ganz oft, dass viele steckenbleiben in dem Gedanken «Wenn ich ganz viel mache, wird es besser».
Bis zu krassem wie «Ich darf nicht in den Urlaub fahren, sonst passiert etwas». Es ist gut, wenn man sich seine Erwartungen anschaut und überprüft, wie realistisch die sind.
Ist das der kindliche Wunsch nach Eltern, die immer da sein sollen?
Man hat oft dieses Bild, das erlebe ich oft in meinen Beratungen, dass die Eltern einfach immer da sind. Ich war Ende 40, da hat mir meine Mutter immer noch in den Mantel geholfen. Mein Vater war auch mein Held. Ja, der Wunsch nach den Eltern ist immer da.
Was mir an deinem Buch aufgefallen ist, sind die Checklisten für den Unterstützungsbedarf, zum Beispiel für den Bereich Haus/Wohnen, Küche oder Gesundheit.
Diese Listen sind für mehreres gut. Zum einen helfen sie, genauer hinzuschauen. Die Eltern haben ein eigenes Leben und einem ist in der Regel nicht bewusst, was sie alles bewältigen. Man nimmt viele Dinge einfach hin oder übersieht sie, etwa die abenteuerlichen Elektro-Installationen, die mit Tesafilm zusammenhängen oder der Spülkasten, der immer läuft.
Mit der Liste wird klarer, in welchem Bereich die Eltern Unterstützung bräuchten und welche Aufgaben man abnehmen oder delegieren könnte.
Es wäre unklug, Entlastung anzubieten und dann beim Kochen anzusetzen, wenn die Mutter die grösste Köchin ist. Aber es gibt bestimmt Aufgaben, die sie nicht mag, vielleicht Getränke schleppen oder die Hecke schneiden, dann kann man das abnehmen.