19. Mai 2013 – Mit wem soll ich teilen?
Beinahe hätte ich den Kuchenteig vergessen im Kühlschrank. Das Datum ist abgelaufen, doch er riecht gut, alles OK. Noch habe ich ein Paket tiefgekühlter Zwetschgen, die letzten, die allerletzten von meinem geliebten Baum. Es gibt ihn nicht mehr. Zusammen mit dem sterbenden Pflaumenbaum ließ ich ihn ausreissen, der Bauer half mit Traktor und Vorderlader. Platz schaffen für den neuen Garten. Die Ausläufer des Zwetschgenbaums waren so zahlreich geworden, man wurde ihrer nicht mehr Herr.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines demenzkranken Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek) Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Ein ganzer Kuchen, mit wem soll ich ihn teilen? Wie könnte ich anders, als Paul die Freude zu machen, obwohl heute mein freier Tag wäre. Beim Gedanken an ihn kann ich nicht anders, als zu ihm zu fahren. Er begrüßt mich kaum, wieder sind Stapel Kleider bereit, er will weg.
Doch dann strahlt er, wie er den Kuchen sieht. Sogleich nimmt er einen Bissen, von Hand schmeckt ein Kuchen immer am besten. Er mag nicht warten, bis ich Kaffee hole. Da erfahre ich von einer Pflegenden, Paul habe heute das Mittagessen verweigert. Deshalb also dieses gierige Zupacken und Aufessen gleich beider Stücke. Ich erfreue mich an seiner Freude.
Nun geht er von einer Ecke in die andere, sucht irgendetwas. Er packt seinen Lieblingspullover in ein Frotteetuch, übergibt es mir, komm, wir gehen. Einmal mehr weiß ich nicht wie mit der Situation umgehen. Der Kuchen war nicht Ablenkung genug. Ich warte, schaue ihm zu, er wird ungeduldig, weil ich sitzen bleibe.
Komm jetzt. Ich will heim, heute spricht er recht klar. Ich bitte ihn, sich doch neben mich zu setzen. Endlich setzt er sich hin, die eingebundenen Beine auf dem Schemel. Er trägt wieder die kurze Hose.
Ich versuche zu erklären, es sei nicht möglich, er sei jetzt hier im Pflegeheim zuhause. Ich hätte das auch lieber anders, und ich erzähle, beruhige, versuche abzulenken und breche dann in Tränen aus. Erstaunt schaut er mich an. Ist schwer, gell? Ich trockne die Tränen, rede nun mit ihm wie früher, schütte mein Herz aus. Und habe den Eindruck, er versteht mich.
Nein, du hast kein Auto mehr, wie er nach seinem Auto fragt. Auch das begreift er. Wohl eher mit den sensiblen Antennen, die demente Menschen haben. Sie verstehen oft mit dem Herzen, wenn der Verstand es nicht erfasst. Auch er hat Tränen und streichelt mich. Sternstunde. Balsam.
Da nimmt er meine Hand und drückt sie an seine Wange. Meinen Kopf an seine Brust gelehnt, ruhen wir lange Zeit.
Bald ist vier Uhr. Er erhebt sich: Ich komme mit. Dasselbe Trösten, du bleibst da, ich komme wieder. Nun rollt er die Binden am Bein los, ist beschäftigt mit neu Aufrollen. Ich verabschiede mich. Er ist abgelenkt mit den Binden, ich kann gehen. Sein Gruß ist freundlich, ich atme auf.
Heimfahrt wie immer, heute hat es viel Verkehr. Lieber ist mir werktags zu fahren, trotz der vielen Lastwagen, es herrscht mehr Disziplin. Heute wird gefahren wie auf dem Jahrmarkt mit Putschautos. Dankbar stelle ich das Auto in der Garage ab. Immer wieder aufatmen, es ist nicht selbstverständlich, heil nach Hause zu kommen.