17. Juli 2010 – Brot oder kein Brot
«Ich geh’ Brot holen im Tiefkühler», sagt er.
«Noch nicht nötig, wir brauchen es erst zum Frühstück», erwidere ich.
«Es hat nicht genug, ich gehe jetzt», beharrt er.
«Zum Nachtessen ist noch genug da».
Es hilft nichts. Weder Erklärungen, noch Einspruch, noch Bitte. Alles Zureden ist umsonst. Langsam, deutlich will ich ihn vom Vorhaben abhalten. Drei, vier Mal. Er geht in den Keller zum Tiefkühler und holt Brot.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
«Das hier ist ja nicht alt, es ist frisch», erklärt er mir. Jeden Tag dasselbe Prozedere. Immer wieder holt er Brot auf Vorrat herauf. Langsam habe ich es satt, altes Brot zu essen. Nach dem Nachtessen wäre es noch früh genug, Brot herauf zuholen fürs Frühstück, falls nötig.
Ich versuche es imTiefkühlfach in der Küche zu verstauen. Umsonst, er hat es bemerkt, holt es wieder heraus. «Es ist ja frisch, nicht alt, wir haben sonst zu wenig Brot zum Frühstück».
Meine Nerven beginnen zu flattern. Vom Ausflug auch etwas müde nach Hause gekommen, möchte ich mich ausruhen. Ich brülle ihn an. Die letzte Möglichkeit, ihn zur Vernunft zu bringen. Dann endlich hört er mir zu.
Genau das, was ich verabscheue, tue ich. Genau das, was ich mir nie zugetraut hätte, muss ich hier anwenden.
Die Ärztin hatte mir mal gesagt, dass es Alzheimer-Patienten gebe die von Angehörigen geschlagen würden. Ich war damals entsetzt, das zu hören, konnte es fast nicht glauben. Heute kann ich mir das in solch nervtötenden Momenten durchaus vorstellen. Es ist ja nicht nur diese eine Szene.
Es ist eine unter vielen. Am liebsten würde ich einfach davonlaufen. Dazu bin ich aber viel zu müde.
Nichts mag ich mehr unternehmen, diese lähmende Müdigkeit seit Wochen, stets bewege ich mich am Limit meiner Selbstbeherrschung.
Seit etwa drei Wochen habe ich auch nicht mehr Cello gespielt. Die Kraft reicht nicht aus. Am liebsten liege ich im Bett und lese … oder schlafe.
18. Juli 2010 – Altmetall
Oh Schreck! Oh Glück dennoch. Altmetallsammlung (nach x-Mal bestätigen, ja, die ist heute). Paul legt alles in einen Plastikkübel, was an Altmetall in der Bude bereit steht. Ich höre den Sammelwagen der Gemeinde und gehe fragen, wo wir den Plastik-Kübel entsorgen können.
Da fällt mein Blick auf das von Paul gesammelte Altmetall. Oh Schreck! mein kleiner Kochherd aus Metall, mein Spielzeug aus alten Tagen. Er wollte es einfach entsorgen! Ohne mich zu fragen, ohne zu überlegen, einfach wegschmeissen!