Wenn er es bemerkt, regt er sich dermassen auf, dass dies einen Epilepsieanfall auslösen kann. Schnell leere ich den Behälter, damit er nicht in Panik gerät.
Geschafft: Frühstück OK, keine Zuckungen, er macht sich bereit, nimmt die Suppe mit für seine Schwester im Heim. Da er heute etwas später dran ist, sehe ich ihn mit zügigen Schritten in ungewöhnlichem Tempo davoneilen.
Wie flink er heute abmarschiert! Eine Motivation, ein Ziel haben – da kann er ganz schneidig gehen. Ich staune und mein Stossgebet begleitet ihn.
Er möge von Engeln umgeben und bewahrt sein. Es ist jedes Mal ein Glaubenswagnis, ihn allein gehen zu lassen.
«Dass du keine Angst um ihn hast?», fragt mich seine Schwester, als ich ihr den Suppen-Segen ankündige. Ich bat sie, ihn unten im Heim «abzufangen», um ihm das Suchen ihres Zimmers zu ersparen.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
«Doch, doch, ich habe schon Angst», erwidere ich ihr, «aber ich muss ihn gehen lassen. Alles was er sich selbst noch zutraut zu tun, ist Therapie für ihn.»
Allein der Weg zu Fuss zum Bus und dann von der Station zum Heim ist immerhin ein kleiner Spaziergang. Sonst mag er nicht spazieren, da lamentiert er stets, er könne das gar nicht mehr.
Halb zehn Uhr, ich atme auf. Er hat es geschafft. Einmal mehr. Weder ein Anruf von seiner Schwester, noch vom Tagesheim. Ich war zwar nicht unruhig, doch jetzt bin ich denno ch sehr erleichtert.
Schon zum dritten Mal muss ich wegen der abschliessbaren Türgriffe anrufen, wieder eine andere Person am Telefon. Ich erkläre erneut unser Problem, schliesslich klappt es mit Herrn Matter, ich kann ihm via Mail Fotos senden mit den genauen Massen der Holzdicke der Türen.
In der Werkstatt habe ich die Schublehre gesucht um Mass zu nehmen. Es ist ein beklemmendes Gefühl, in Pauls Reich herumzustöbern. Meine Gedanken gehen zurück zur der Zeit, als er hier stand und noch alles im Griff hatte. Es gab damals kein Problem, das er nicht lösen konnte.
Eigentlich war er ein Workaholic, immer an der Arbeit, immer zügig und zackig, am Schleifen, Hobeln, Drechseln, die Späne flogen, das Sägemehl lag jeweils in Haufen herum.
Was alles entstanden ist in dieser Boutique! Die wunderbare Schiebetüre zwischen Küche und Wohnzimmer, seine Möbel aus Kirschholz, zwei Küchenmöbel, der Eckbank, die Türrahmen, die umgebandeten Türen (ich hatte die Aufgabe, die dicke Ölfarbe abzuspachteln mithilfe eines Heissluftföns). Auch die 24 Stabellen, die ich bemale, hat er gemacht. Gefertigt aus dem Baum, der einst in Peters Garten stand.