Ging zurück zum Car. Nichts. Schaute die Strasse hinauf. Kein Paul. Wo konnte er bloss sein? Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Er war doch so verwirrt, ging er alleine Richtung Bahnhof?
Endlich sah ich ihn aus dem Gebäude kommen. Irgendwie hatte er es geschafft durch die geschlossene Tür zu gehen? Jedenfalls war er drinnen – und ich stand draussen vor verschlossener Tür. Crazy.
Nachtessen.
Immer wieder dieselbe Frage, wo «sie» denn sei, wo «sie» denn schlafen werde, wenn ich ja auch da sei. «Wo schlafen denn Sie?» fragt er mich.
Ich verhalte mich ruhig. Versuche all seine Fragen klar und kurz zu beantworten.
Fernseher an, etwas, das ihm vertraut ist. Es nützt nichts. Er sucht die Frau mit dem Cello, die heute Abend da vorne Probe habe. Er müsse warten, bis sie nach Hause kommt, sie habe keine Schlüssel. Ich höre ihn mit Schlüsseln hantieren, er geht hinaus.
Mein Tagebuch
Diese Aufzeichnungen sind ehrlich, ungeschminkt, offen und authentisch. Mit der Veröffentlichung im Internet gehe ich bewusst das Risiko des mich (zu sehr?) Öffnens ein – aber mit brennendem Herzen. Meine Notizen zeigen ein eigenes, persönliches und ungeschöntes Bild vom Begleiten meines dementen Partners. Mögen diese Tagebucheinträge Menschen in ähnlicher Situation helfen.(uek)
Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Tagebucheinträge.
Dann höre ich ihn im Keller. Nach geraumer Zeit kommt er zurück. Ich bin zu müde, um alles genau zu beobachten. Ich schliesse die Tür ab, lege die Schlüssel auf den Stuhl unter dem Tisch.
Ich gehe zu Bett, lese wie jeden Abend, er will noch auf «sie» warten. Schliesslich kommt er ins Bett, sagt mir schön gute Nacht mein «Buseli», gibt mir den Gute-Nacht-Kuss und ich atme erleichtert auf, mein Mann, mein Paul ist wieder da. Wie schön!
Heute Morgen: «Wo sind meine Schlüssel?» Auf dem Stuhl liegen keine Schlüssel, aber eine Wolldecke. Was soll das? «Ja, denen traute ich nicht, ich habe die Schlüssel weggelegt». Was ist da nachts vor sich gegangen? Grosse Aufregung.
Auch sein eigenes Schlüsseletui findet er nicht mehr. Woher kam überhaupt diese Wolldecke? «Die habe ich im Auto in der Garage geholt, damit «sie» etwas zum zudecken hat, wenn sie zurückkommt».
Er ist also aufgestanden in der Nacht und ich habe es nicht einmal bemerkt! «Und wo ist mein Schlüsselbund?» Ich suche im Auto, im Keller, in all seinen Hosentaschen, unter dem Tisch, suche in der ganzen Wohnung, nichts.
Mein Kaffee wird kalt. Der Blutdruck steigt. Verzweiflung und Hilflosigkeit.
«Ich muss hinauf ins Musikzimmer, ich habe noch zu tun».
Notbremse. Mein Reduit. Muss meinen Puls runterbringen. Kopf lüften. Nachdenken. Ich bin ihm keine Hilfe, fühle mich ohnmächtig weiss keinen Rat mehr. Plötzlich ruft Paul auf der Treppe. «Ich habe ihn gefunden», er schwenkt voll Freude meinen Schlüsselbund.
Er will es mir zeigen, da er sich nicht erklären kann. Ich gehe nach unten. «Da, in dieser Schublade, man kann denen nicht trauen». Dann zeigt er mir sein eigenes Schlüsseletui: «Das habe ich in die Jacke gesteckt. Man weiss nie». Aufatmen.
Ich hole die Bohnen aus dem Kühlschrank und frage ihn, ob er mir die Bohnen rüsten könne. Andy wird auch da sein. Normalität, Ablenkung suchen für ihn. Und Zeit für mich.
Ich gehe wieder hinauf ins Musikzimmer. Muss zur Ruhe kommen. Ja, ich habe einmal mehr versagt. Hatte nicht Geduld genug, um in dieser chaotischen Situation ruhig zu bleiben. Schon um vier Uhr war ich wach, konnte nicht mehr einschlafen. Was kommt noch alles auf uns zu?
Wie soll ich das alles bewältigen? Muss ich alles aufgeben, was mich glücklich macht und mir Kraft gibt?
Ich komme mir vor wie ein kleines Schaf im Gestrüpp. Das Fell hat sich verheddert in den Dornen, es kann weder vor noch zurück. Oder eben, wie im Dschungel verirrt.
Ich schreie einmal mehr zu Gott: Es tut mir so leid! Jedes laute Wort, die Ungeduld, die Gehässigkeit. Wie ein kaputtes Spielzeug halte ich es hin: Bitte, flicke es, heile meine Beziehung zu Paul, die so einseitig geworden ist.
Paul kann sich nicht mehr zurechtfinden, er braucht meine Nähe, meine Hilfe, meine Stütze. Er ist mir so fremd geworden, das ist nicht mehr mein «echter» Paul. Allein vermag ich ihm nicht zu geben, was er jetzt braucht. Ich fühle mich so ohnmächtig, hilflos. Hilfeeeeeee!!!!!!!!!!
28. August 2010 – Total durcheinander
Heute ist Wangenmärit. Ein Anlass, der Paul stets grosse Freude bereitet hat. Man trifft alte Bekannte, geht Kaffee trinken mit den Nachbarn, kann über dies und das plaudern. Doch zuhause war dann alles chaotisch. Er suchte wieder «sie», verbot mir «ihren» Schlüsselbund zu nehmen, um mein Cello in «ihr» Musikzimmer zu stellen.
Gegen Abend kam sein Freund Max – ihm erzählte er vom grossen Problem, wenn «sie» heute Abend kommen würde. Und ich hätte die Keckheit gehabt, vorhin auf «ihr» Bett zu liegen. Immer wieder redete er von den grossen Schwierigkeiten wenn «sie alle» kommen und es gäbe Probleme mit den Betten.