Zwei Juristen, drei Meinungen, sagt der Volksmund. Oft zu Recht, wie die Geschichte von Gaëlle G. zeigt – in der viel mehr als zwei Juristen involviert waren. Sie fing an mit dem tödlichen Sturz einer Heimbewohnerin und endete mit der Verurteilung der Pflegefachfrau wegen fahrlässiger Tötung, nach etlichen Wendungen.
Der Untersuchungsrichter wollte das Verfahren einstellen; der Staatsanwalt opponierte, er wollte den Fall vor Gericht bringen; die Einzelrichterin sprach Gaëlle G. frei; der Staatsanwalt wollte sie verurteilt sehen und zog den Fall an das Obergericht weiter; dieses traf dann einen Schuldspruch.
Der Ort des Unglücks war auf dem Radar der Heimaufsicht. Die Behörde hatte jenem Heim sogar untersagt, schwer demente Bewohner, wie es das nachmalige Opfer war, aufzunehmen. Der Grund: die Unüberschaubarkeit der Örtlichkeiten (mehrere durch Treppen und Gänge verbundene Wohnungen in einem alten Wohnhaus). Dazu kam die spärlich bemessene Personaldotation.
Der fatale Sturz
An jenem fatalen Abend liess Gaëlle G. Frau Schwab wenige Minuten alleine auf dem WC, um ihrer Kollegin beim Richten des Abendessens zu helfen. In dieser kurzen Zeit schaffte es Frau Schwab, aufzustehen – was noch nie vorgekommen war.
Aus Platzgründen besass das WC keine Tür, sondern nur einen Vorhang, hinter dem sich der Treppenabsatz befand. Frau Schwab stolperte über ihre eigene Unterhose und über die Schwelle, verlor das Gleichgewicht, stürzte ein Stockwerk in die Tiefe und brach sich dabei das Genick.