In der Sonnweid diskutieren wir das Thema Biografie und entwickeln es weiter. Unsere Haltung ist zwar differenziert, doch gilt immer der pragmatische Grundgedanke, dass Menschen uns zeigen, was wichtig ist. Dies interpretieren wir nicht. Wir setzen es auch nicht direkt in Bezug zu eventuellen biografischen Ereignissen.
Die Interpretation von Verhaltensweisen scheint eines der gefährlichsten Instrumente in einer Arbeit zu sein, die uns oft suchend zurücklässt. In einer Aufgabe, in der wir gerne Antworten hätten, damit Dinge verständlicher und erklärbar werden.
Menschen anzunehmen, ihr Partner zu sein, mit ihnen ein Stück des Weges zu gehen: Dies ist die herausforderndste Aufgabe in der Betreuung von Menschen mit Demenz. Das Gefühl, angenommen zu sein, das Erleben eines bedingungslosen «Ja» geben Sicherheit, emotionale vor allem.
Dieses Gefühl ist Grundlage für jede Beziehung, beruflich wie privat. In einer solchen Gefühlsatmosphäre können Trost und Mitgehen, kann Partnerschaft entstehen zwischen zwei Menschen, seien sie gesund oder erkrankt.
Die Geschichte der anderen
Menschen mit Demenz bringen ihre Geschichte in die Institution mit. Daher kann es durchaus Sinn machen, im privaten Umfeld nachzufragen. Zu erfahren, wie dieser Mensch sein Leben gestaltet hat, in welcher Zeit er aufgewachsen ist, was ihm wichtig gewesen ist, was er gerne gegessen hat und vieles mehr. Wir schreiben diese durch den Filter der Angehörigen gesehenen Geschichten auf. Sie geben aber nur begrenzt darüber Auskunft, was der Erkrankte selbst erlebt hat.
Es besteht die grosse Gefahr, dass wir versuchen, sein Verhalten nur durch die erzählten Geschichten zu erklären und zu verstehen.
Wie sollen Kinder richtig von einem Früher berichten, das sie gar nie erfasst haben? Wie sollen Kinder Hunger beschreiben können, wenn sie nie unter solchem gelitten haben – und Hunger wonach ist überhaupt gemeint?
Wo ist alles aufgeschrieben? Zum Beispiel, dass Herr T. pädophil war? Ist es in der Pflegedokumentation für immer festgehalten? Ist das die relevante Biografie? Was machen wir damit? Was denkt die 16-jährige Pflegehilfe, wenn sie es im Kardex liest?
Es stellt sich die Frage, ob die Information wirklich noch so relevant ist, dass alle sie kennen müssen. Die alte Geschichte des Betreuten trifft auf die neue Geschichte des Pflegenden. Biografien werden eng verknüpft. Wie viel professionelle Distanz kann erwartet werden?