Im Zentrum Hamburgs gibts für ein paar hundert Euro Miete nur noch eine Besenkammer.
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Explodierende Mieten machen das Leben schwer, besonders für Stadtbewohner und Rentner. Orna Rosenfeld erforscht, wie Regierungen und Kommunen dem Preisanstieg entgegenwirken können.
Selbst recht gut Verdienende können es sich kaum noch leisten, in Städten wie London, Paris, Berlin oder Frankfurt zu leben. Woran liegt das?
Orna Rosenfeld: In den wirtschaftlich erfolgreichen Städten übersteigt die Nachfrage nach Wohnungen bei Weitem das Angebot. Die Folge: Mieten und Kaufpreise explodieren.
Die Stadt leidet an der eigenen Attraktivität?
Die Mieten sind den Einkommen davongaloppiert. Das gilt für viele dieser so genannten Globalen Städte. Mittlerweile können sich zehn Prozent der Europäer kaum mehr ihre Wohnung leisten. Dazu gehören selbst Familien, die früher gut mit ihrem Einkommen ausgekommen sind. Sie geben 40 Prozent oder mehr ihres Monatseinkommens für Miete aus. Das Geld fehlt in der Haushaltskasse beispielsweise für Essen, Kleidung oder Mobilität.
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Paris, wo Sie arbeiten, gilt als Stadt mit magnetischer Wirkung.
Ja, aber gleichzeitig geht die Schere zwischen Einkommen und Mieten immer weiter auseinander. Im Ballungsraum Île-de- France, zu dem Paris gehört, sind statistisch gesehen bereits 80 Prozent der Bevölkerung antragsberechtigt für eine Sozialwohnung. Eine globale Nachfrage treibt auch die Immobilienpreise in die Höhe.
ORNA ROSENFELDist Expertin für Stadtentwicklung, in ihren Worten «Global Advisor on Housing». Ihre grossen Themen sind bezahlbarer Wohnraum und die Erneuerung des Wohnmarktes. Sie hat an der Universität Westminster in London promoviert und lehrt heute an der Eliteuniversität Sciences Po in Paris. Rosenfeld berät weltweit Regierungen und internationale Institutionen wie die Weltbank und die Wirtschaftskommission für Europa bei den Vereinten Nationen (ECE) mit Sitz in Genf.
Wie funktioniert dieser globale Wohnungsmarkt?
Die weltweite Finanzkrise 2008 hat zusammen mit der Digitalisierung das Wohnungswesen stark verändert. Es wird immer einfacher, per Mausklick Immobilien irgendwo auf der Welt zu kaufen – ohne sie je besichtigt zu haben. Diese Durchlässigkeit ruft ganz neue Akteure auf den Plan.
Was ist denn falsch daran?
Darunter sind leider auch Spekulanten, denen es nur darum geht, kurzfristige Gewinne zu machen. Der Zustand der Gebäude, die sie kaufen, ist ihnen egal. Diese «abwesenden Besitzer» interessieren sich nicht für das Wohlergehen des Stadtviertels oder der Stadt, in der sie investieren.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Sowohl die nationalen Regierungen als auch die Städte müssen wieder den Mut fassen, den ausser Rand und Band geratenen Markt zu regulieren. Im besten Interesse ihrer Bürger. Es sollte jeder Zugang zu anständigem und bezahlbarem Wohnraum bekommen.
Der Staat sollte Investoren bevorzugen, die an langfristiger Entwicklung interessiert sind, die sich verantwortlich fühlen für die Stadt, in der sie ihr Geld anlegen, für deren Bürger, für die Umwelt.
In Berlin gilt seit 2015 die sogenannte Mietpreisbremse. Die einen sehen darin einen Schutz der Mieter gegen Wucher, die anderen eine Bremse für Neubauten, was die Preise erst recht ankurbeln würde.Wie sehen Sie diese Massnahme?
Zumindest ist das eine sehr klare Ansage an den Markt. Ein mutiges Experiment. Wie es ausgeht, wissen wir noch nicht. Aber wir brauchen genau diese politische Entschiedenheit, um die Explosion der Preise und die Wohnungsnot zu bekämpfen.
Sind mehr städtische und Genossenschaftswohnungen eine Lösung?
Unbedingt. Viele europäische Länder wie England und die Niederlande haben eine mehr als 200-jährige Tradition im sozialen Wohnungsbau. In Deutschland begannen Genossenschaften schon Mitte des 19. Jahrhunderts für Arbeiter zu bauen.
Heute sind zwei Millionen deutsche Wohnungen im Besitz von Genossenschaften. Diese Erfolgsgeschichte sollte man weiterschreiben.
Wien gilt als «Paradies für Mieter». Warum eigentlich?
In den 1920er Jahren begann die sozialdemokratische Stadtregierung ein gigantisches Wohnbauprogramm. Seitdem ist der Bestand an bezahlbaren Wohnungen immer weiter gewachsen. Heute sind mehr als 200.000 Wohnungen in städtischem Besitz.
Hinzu kommt die gleiche Anzahl im Besitz von Genossenschaften oder öffentlich geförderten Wohnungsbaugesellschaften. Das Resultat: Mehr als 60 Prozent der Einwohner leben in günstigen Sozial-oder Gemeindewohnungen. Sie müssen fürs Wohnen prozentual viel weniger ausgeben als in anderen Städten.
Was hat Wien besser gemacht als andere Grossstädte?
Ein grosser Bestand an Sozialwohnungen ist ein wertvolles Gut. Diesen Schatz hat die Stadt gehütet. Selbstbewusste Politiker widerstanden dem Druck der Deregulierung. Sie scheuen sich nicht, eine segensreiche Tradition beizubehalten.
Starkes öffentliches Engagement zeigt auch Zürich, eine Stadt, die eigentlich als sehr teuer gilt.
Ein Viertel der Wohnungen gehört entweder der Stadt oder gemeinnützigen Genossenschaften. Und das sollte auch so bleiben. Übrigens ein gutes Beispiel, wie die Städte in Europa voneinander lernen. Denn das 25-Prozent-Ziel stammt ursprünglich aus Grossbritannien und es gilt auch in Frankreich.
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Die Corona-Krise hat schwerwiegende Folgen – auch für das Wohnen?
In dieser Zeit zeigt sich deutlich, wie wichtig der Zugang zu menschenwürdigen Wohnungen ist. Obdachlose sind während einer Pandemie äusserst gefährdet. Genauso Familien, die sehr beengt wohnen. Ausserdem sollten Angehörige sogenannter systemrelevanter Berufe, beispielsweise Krankenpfleger, nicht anderthalb Stunden pendeln müssen, um zu ihrer Arbeitsstätte zu gelangen. Die erste Verteidigungslinie gegen eine Pandemie ist das Gesundheitssystem, die zweite das Wohnungswesen.
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Was können Städte gegen eine weitere Verschärfung der Wohnungsnot tun?
Sie sollten ihren Bürgern den Zugang zu erschwinglichem, anständigem Wohnraum ermöglichen. Wenn sie einen Bestand an günstigen Wohnungen besitzen: Bitte nicht verkaufen! Im Gegenteil: Mit einem neuen Wohnungsbauprogramm würden ausserdem die Bauindustrie angekurbelt und viele Jobs gesichert.
Die Krise als Chance – ist das nicht ein frommer Wunsch?
Nein. Unsere Städte wurden immer als Antwort auf Katastrophen umgestaltet. In London und Paris beispielsweise als Reaktion auf die Pest, die durch beengte und unhygienische Wohnverhältnisse begünstigt worden war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde massiv in Sozialwohnungen für eine verarmte Bevölkerung investiert. Meine grosse Hoffnung ist, dass wir jetzt diesen einzigartigen Moment nutzen, um die erstarrte Wohnungspolitik wieder in Bewegung zu bringen.
Dieser Artikel erschien im Herbst 2020 im Mut – Magazin für Lösungen. Wir bedanken uns bei der Redaktion für die Gelegenheit zur Zweitverwertung.
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