Die Digitalisierung ermöglicht den verkürzten, schnellen Zugang zu Pflegebedürftigen und Patienten. Das kann in bestimmten Fällen sehr wichtig sein. Die digitale Vernetzung kann Gutes bewirken, wenn sie denn in die richtigen Bahnen gelenkt, weiterer Arbeitsverdichtung und Personaleinsparung der Riegel vorgeschoben und kreativem Denken tatsächlich mehr Raum gegeben wird.
Andernfalls mündet sie in eine «Verdichtungsverdichtung» und begünstigt gefährliches Schubladendenken. Menschliche Regungen werden dann für eine scheinbare Entlastung weggeschrumpft. In der Pflege-Übergabe heisst es dann: «Zimmer 560 nichts, 561 nichts, 562 nichts, 563 nichts». Im Zweifel kann man ja nachschauen.
Der Mensch dahinter, mit seinen individuellen Bedürfnissen, wird blutleer und nur noch verwaltet.
Vernetzte Programme sind längst keine Vision mehr. Ihre Umsetzung läuft bereits.
Datenvernetzung in der Medizin und Pflege ist wichtig.
Ohne den Menschen im Mittelpunkt impliziert sie aber, dass es zu kostenintensiv und daher nichtig ist, sich mit einer Materie neu vertraut zu machen, Zusammenhänge zu durchdenken, ein intensives Gespräch auf Augenhöhe zu führen, gefasste Entscheidungen neu zu hinterfragen, einen authentischen, vertrauensvollen Händedruck zu geben.
Man hält sich nicht mehr lange mit der Schaffung einer vertrauensvollen Pflegefachkraft-Patienten-Beziehung auf, ordnet vielmehr mit Tempo und quasi-effektiv den Menschen ein.
Alles geht schneller. Da die Akte nichts vergisst, wird der Patient und Pflegebedürftige schnell kategorisiert (als Datei abgelegt), auch wenn die Ersteinschätzung vielleicht eine falsche ist. Mit oft fatalen Folgen.
Wenn die Symptome des Patienten sich nicht an das Lehrbuch halten, der Norovirus ohne Durchfall einhergeht, oder die Thrombose den Arm heimsucht und nicht das Bein, dann muss ich trotz falsch gefasster Einordnung noch in der Lage sein, die Daten erst in meinem Kopf und dann im digitalen System zu ändern. Aber es beginnt schon im Kleinen: Wenn die Salbe an der falschen Stelle eingerieben wird, weil man die Verwunderung des Patienten übersieht und nicht mit ihm kommuniziert.Oder wenn ein Patient fast an einer Sepsis stirbt, weil man die Eigenbewertung seiner Situation nicht ernst genug genommen hat. – Alles so geschehene und gesehene Beispiele.
Menschen sterben täglich auf diese Weise völlig unnötig. Entscheidungen in Pflege und Medizin werden daher weiterhin durch die Art und Weise der Kommunikation getroffen, trotz Digitalisierung. Unter Bedingungen weiterer Arbeitsverdichtung und Bedeutungsverkürzung wird die menschliche Anfälligkeit, Fehler zu machen, mit digitaler Hilfe zu- und nicht abnehmen.
Und wie steht es mit dem Gewinn an Zeit? Die digitale Vernetzung ermöglicht, dass noch mehr Patienten durchgeschleust und mehr Pflegebedürftige auf eine Fachkraft in der Altenpflege umgelegt werden können – bei weiter steigenden Gewinnen in der Gesundheitsindustrie.