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»Meine Eltern werden alt«

Die Eltern beim Älterwerden begleiten

Peggy und ihre Mutter Kerstin

Es ist wichtig, früh mit den Eltern über deren Wünsche zu sprechen. Peggy (re) hätte ihre Mama gern gefragt, ob das Heim für sie okay gewesen wäre. Bild privat

Irgendwann ist es soweit: Die Eltern sind alt und brauchen Hilfe. Doch wie geht es dann für sie und ihre erwachsenen Kinder weiter? Wie findet man zusammen gute Lösungen? Peggy Elfmann stellt in ihrem Buch 50 mutmachende Ideen vor, wie Kinder ihre Eltern mit Zuversicht, Empathie und Know-how unterstützen können.

demenzjournal: Du schreibst in deinem Buch »Meine Eltern werden alt«, das Pflegen habe sich leise in dein Leben geschlichen. Was meinst du damit?

Peggy Elfmann: 2011 bekam meine Mutter mit 55 Jahren die Diagnose Alzheimer. Zu diesem Zeitpunkt war sie körperlich und geistig noch ganz fit. Zuerst änderte sich kaum etwas. Meine Eltern wohnten in ihrem Haus und wollten, dass alles so bleibt wie gewohnt. Aber schleichend übernahmen mein Bruder und ich immer mehr Aufgaben. Bei unseren Besuchen – wir wohnen beide 400 Kilometer entfernt – merkten wir zum Beispiel, dass man mal sauber machen oder etwas reparieren müsste. Dann kamen Kochen, Einkaufen, Sachen abklären, und schließlich Körperpflege, Unterstützung beim Ankleiden und Essen dazu.

Es war ein sanfter Übergang von »Ich unterstütze « bis zu »Ich muss es machen «.

Irgendwann haben mein Bruder und ich gemerkt, dass unsere Eltern ohne unsere Hilfe manche Dinge gar nicht schaffen. Wir haben dann Pflegeberatung genutzt und geschaut, welche Angebote es in unserer Gegend gibt.

Peggy Elfmann
In ihrem Buch hat Peggy Tipps zusammengefasst, die ihr damals geholfen hätten.Bild Jacobia Dahm

Wie haben deine Eltern eure Ideen aufgenommen?

Einerseits hat Papa immer wieder gesagt: »Es ist so anstrengend!«. Mama hatte einen großen Bewegungsdrang und er musste zwischen Haushalt, Kochen, Alltag regeln immer aufpassen, dass sie nicht verloren geht. Aber wenn wir dann von Tagespflege geredet haben, war er verärgert: »Denkt ihr, ich mache es nicht gut genug? Ich habe noch alles geschafft in meinem Leben!«

Für ihn war es keine Frage, dass er sich um Mama kümmern wollte. »Eure Mutter hat mir immer den Rücken freigehalten, als ich Schulleiter war. Natürlich bin ich jetzt für sie da.« Vielleicht spielte auch eine Angst vor Veränderung hinein.

Warum ist es wichtig, frühzeitig mit seinen Eltern über die Zukunft zu sprechen?

Wenn wir bestimmte Themen – zum Beispiel den Heimeintritt – angesprochen haben, hieß es von unserem Papa oft: »Das hat noch Zeit.« Und natürlich kann niemand sagen, wie es wirklich ist, wenn die Demenz fortschreitet. Aber irgendwann konnte Mama immer weniger gut sprechen und schließlich gar nicht mehr.

Da wusste ich: Wir haben die Chance verpasst – nur weil wir immer auf dieses »Das hat noch Zeit« gehört haben.

Lange dachte ich, ich könnte Mama notfalls bei mir aufnehmen, aber ich merkte, dass das eine absolute Illusion ist und ich das gar nicht bewältigen kann. Da habe ich bereut, dass ich nie mit ihr über diese Möglichkeit gesprochen hatte.

Mama musste dann plötzlich sehr schnell ins Heim. Papa war so überfordert, dass er die Entscheidung nicht treffen konnte. Als ich den Heim-Vertrag unterschrieben habe, dachte ich im Stillen: Ich handle jetzt mit besten Absichten, aber ich weiß einfach nicht, was Mama gewollt hätte. Ist sie jetzt enttäuscht von mir?

Welche Fragen hättest du deiner Mutter gern gestellt?

»Was ist dir wichtig? Ist das Heim für dich okay? Was wünschst du dir für deine Zukunft und von mir als Tochter?« Ich hätte von meiner Mama gern den Satz gehört: »Ich wünsche mir, dass du da bist. Aber ich möchte nicht, dass du dein Leben aufgibst.« Vor der Geburt meiner zweiten Tochter habe ich mich gefragt, ob das richtig ist, ob ich überhaupt noch ein Kind bekommen darf. Oder ob es nicht meine Aufgabe sein sollte, meine Mutter zu pflegen.

Es ist die Unklarheit, die oft zu massiven Gewissensbissen führt. Mit deinem Buch hilfst du Kindern, mit ihren Eltern über Wünsche und Zukunftsvorstellungen zu reden.

Auf Lesungen zu meinem Buch »Mamas Alzheimer und wir« haben Angehörige oft zu mir gesagt: »Hätte ich das mal früher gewusst!«. Es ist schwer, Themen anzusprechen. Besonders wenn eine Diagnose im Raum steht und das Ende immer mitschwingt. Mit dem Buch »Meine Eltern werden alt« will ich Ideen geben, um solche Gespräche und konkrete Schritte ein bisschen leichter zu machen.

Wie kommt man auf einen grünen Zweig, wenn die Eltern nicht wollen?

Papa hat sich lange dagegen gesperrt, Mama in die Tagespflege zu geben. Nach vielen Gesprächen miteinander und auch mit Mamas Neurologen haben wir uns eine Einrichtung in unserer Gegend angeschaut.

Man kann nur eine Meinung haben, wenn man sich vor Ort informiert.

Im Gespräch mit den Pflegenden haben wir dann gemerkt, das sind ja total nette Leute, die sich kümmern. Schließlich hat Papa einen Probelauf gestartet und festgestellt, dass ihm die Zeit allein guttut. Dass er mal in Ruhe einkaufen kann und Mama gut aufgehoben ist.

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Es braucht also vielleicht eine Inspiration von außen und dann eine Testphase, in der die Eltern sehen, ob die Maßnahme etwas bringt.

Man kann Dinge anbieten und manchmal sanft forcieren. Aber man muss sich von der Idee lösen, dass der eigene Plan der beste ist. Es geht um eine Entscheidung der Eltern, die ihr Leben beeinflusst. Das »Betreute Wohnen« hat mein Vater verworfen, weil er dort gegen graue Wände geschaut hätte.

Man muss auch überlegen, was wirklich notwendig ist. Wenn das Wohnzimmer gestaubsaugt werden müsste, der Vater aber keine Putzkraft einstellen will, dann bin ich dafür nicht verantwortlich.

In ihrem Podcast beleuchtet Peggy mit Anja Kälin Themen, die pflegende Angehörige beschäftigen.

Es ist immer die Frage, wie viel soll und kann man überhaupt helfen.

Oft hilft schon Zuhören. Ich hatte lange den Reflex, dass ich sofort Lösungen liefere, wenn mein Papa erzählt hat, wie anstrengend alles ist. Dann habe ich gemerkt, dass er gar nicht unbedingt Ratschläge will – sondern dass es ihm einfach guttut, wenn ich zuhöre.

Dein Buch trägt den Untertitel »50 Ideen für ein gutes Miteinander«. Es geht also nicht unbedingt ums Problemlösen, sondern vor allem um Beziehung?

Bei allen Schwierigkeiten, die rund um Pflege und Krankheit auftauchen, darf man die schönen Dinge nicht vergessen. Schöne Momente schaffen, Beziehung leben ist ganz wichtig. Ganz wertvoll war für mich eine Reise mit meinem Vater in seine Heimatstadt. Dass er mir von seiner Kindheit erzählt hat, hat mir geholfen, seine Sicht und sein Verhalten besser zu verstehen. Mein Vater wurde als Waise im Krieg vertrieben. Er hatte nur noch seine Schwester und musste im Leben vieles allein schaffen.

Peggys Lieblings-Ideen aus »Meine Eltern werden alt«

🤝 »Bildet Banden und schafft ein Netzwerk aus Helfenden«: Aufgaben verteilen und Menschen einbeziehen entlastet dich bei der Organisation und auch mental.

💜 »Schaut in die Zukunft und sprecht über eure Wünsche«: Unterhaltet euch frühzeitig über Zukunftsthemen, nicht erst wenn schon Druck da ist.

🔍 »Sei dein eigener Detektiv und finde dein Warum«: Aus welchen Gründen pflege ich respektive pflege ich nicht? Was »gibt« es mir, mich zu kümmern? Darin steckt Kraft und Klarheit.

Ganz wichtig war auch, als Mamas Krankheit fortschritt, dass ich Zeit mit ihr verbringen konnte. Nur wir zwei. Wir sind um den Dorfteich spaziert und sie hat alles Mögliche gesammelt – Blätter, Steine. Oder wir haben Ball gespielt. Ich habe begonnen, Mama auch während ihrer Krankheit zu fotografieren. Es war nicht perfekt: Haare ungewaschen, die Augen halb zu. Aber wenn ich die Fotos später angesehen habe, dann hat mich Mama darauf doch irgendwie angeguckt. Heute bin ich froh, dass ich auch diese Momente festgehalten habe, obwohl sie nicht perfekt waren, denn sie sind ein Teil unseres Lebens.

Peggy und ihre Mutter gehen spazieren.
Irgendwann hat Peggy auch unperfekte Momente fotografiert – weil sie dazugehören. Bild privat

Wie hast du dich selbst vor Überforderung geschützt? Du bist regelmäßig 400 Kilometer gependelt. Welchen Tipp würdest du deinem früheren Ich geben?

Den, der mir bestimmt auch gegeben wurde: »Mach mal Pause!«. Jetzt plane ich bewusst Zeit ein, die nur mir gehört. Ich gehe laufen oder verbringe einen Abend allein. Es hat eine Weile gebraucht, bis ich mich auch in meinem Elternhaus abgrenzen und für eine Stunde oder so zurückziehen konnte. Lange hatte ich das Gefühl, ich müsste die ganze Zeit bei meinen Eltern sitzen.

Wenn du die Uhr zurückdrehen könntest: Was würdest du heute anders machen?

Ich wäre mutiger und würde Dinge schneller anpacken. Zum Beispiel haben wir lange gezögert, das Haus für Mama umzubauen. »Das geht schon noch«, sagte mein Vater oft. Irgendwann konnte Mama keine Treppen mehr steigen. Der Umbau hätte es ihr schon zwei Jahre früher viel leichter gemacht.

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Ich wünschte auch, ich wäre geduldiger gewesen. Hätte nicht so viel erklärt, sondern mehr zugehört. Außerdem hätte ich mit Mama gern noch eine Reise gemacht. Aber wir haben das Beste gemacht, was wir zur damaligen Zeit wussten.

Du warst mitten im Schlussspurt für das Buch, als deine Mutter im Heim friedlich eingeschlafen ist. Hat das deine Sicht auf das Buch verändert?

Mamas Tod hat mich erst gelähmt. Weil es so plötzlich kam. Gleichzeitig wusste ich, dass ich das Buch beenden muss. Dass die Erfahrungen, die wir als Familie durch Mamas Alzheimer gemacht haben, auch anderen auf ihrem Weg helfen. Mama war immer ein wahnsinnig hilfsbereiter Mensch. Mir half der Gedanke, das weiterzutragen.


Buchcover

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2024, hanserblau Verlag