Schaufel um Schaufel füllt Hans-Peter mit Holzschnitzeln und wirft sie in hohem Bogen in den bereitstehenden Traktoranhänger. Von Zeit zu Zeit stellt er sich auf die Zehenspitzen und kontrolliert, wie weit sich der Wagen bereits gefüllt hat. Dann packt er wieder zu, die Kappe tief über die Ohren gezogen.
Der Morgen ist frostig kalt im offenen Ökonomiegebäude des Hofs Obergrüt (inzwischen Hof Rickenbach), wo in einer Ecke die Holzschnitzel für die Heizung lagern. Er friere nicht, sagt Hans-Peter. Diese Arbeit mache er gern. Und müde Arme bekomme er davon nicht.
Hans-Peter ist gross; ein stattlicher, attraktiver Mann, körperlich gesund und kräftig. Er ist 62 Jahre alt und hat Alzheimer. Bis 2011 war er Finanzcontroller bei Siemens. Tränen steigen ihm in die Augen, als er sich zu erinnern versucht. Seine Hand macht die immer gleiche abwärtsführende Wellenbewegung.
Er sucht nach Worten. Manchmal gehe es besser, dann wieder schlechter: «Es ist jetzt halt so.» Luzia Hafner, Pflegefachfrau, Bäuerin und Leiterin des Hofs Obergrüt, unterstützt ihren Gast: «Du machst es gut. Ich bewundere dich, wie du die Krankheit annimmst.»
Hans-Peter war 55, als er die Diagnose Alzheimer erhielt. Damit gehört er zu den schweizweit rund 3000 Menschen, die noch vor dem Pensionierungsalter an Demenz erkranken – «präsenile Demenz» lautet der Fachausdruck. Bei den 45- bis 65-Jährigen ist etwa jeder Tausendste davon betroffen.
Die Zahl Demenzerkrankter wird möglicherweise auch in dieser Altersgruppe zunehmen. Grund dafür sind die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation, die ins Alter kommen. Aber auch, weil Betroffene heute schneller auffallen: Unsere stark digitalisierte Arbeitswelt kennt keinen Spielraum für Unzulänglichkeiten und organisatorische Schwächen.
Bei den wenigsten jung Betroffenen werden Vergesslichkeit und Konzentrationsschwäche, Orientierungslosigkeit oder Persönlichkeitsveränderungen als Symptome einer beginnenden Demenz erkannt. Bei acht von zehn wird zunächst ein Burn-out oder eine Depression vermutet.
Im Rückblick denkt Hans-Peters Frau Sonja Hochstrasser, dass erste Anzeichen der Krankheit sich schon viel früher bemerkbar machten – als zärtliche Berührungen sich plötzlich merkwürdig kalt und mechanisch anfühlten. «Als hätte mein Mann Roboterhände», sagt die in einem Teilzeitpensum arbeitende Physiotherapeutin.
Die Schwingungen zwischen ihnen als Liebespaar hatte die Krankheit als Erstes ausgelöscht.
Als Hans-Peter in der Firma dreimal kurz hintereinander sein Passwort vergass und projektbezogene Abläufe nicht mehr erklären konnte, verordnete ihm sein Chef zusätzliche Freitage und schickte ihn zum Arzt. Depression, Burn-out oder Demenz – so lautete die Diagnose.
Für Sonja Hochstrasser die schwierigste Zeit. «Eine Katastrophe», erinnert sie sich. Der Gang durch Abklärungs- und Beratungsinstitutionen begann – und zog sich hin. «Ich fühlte mich total allein gelassen.» Ihr Mann, kurz zuvor noch zu 120 Prozent im Beruf engagiert, war plötzlich tagaus, tagein zu Hause.
«Wenn ich eine Demenz habe, bringe ich mich um», sagte er mehr als einmal. Dann kam die Abklärung im Berner Inselspital. Sonja Hochstrasser erinnert sich an das abschliessende Gespräch: «Es tut uns leid. Ihr Mann hat eine Demenz, Form Alzheimer.» Sie ging vor die Tür und weinte, weinte, weinte …