«Na, das war wohl nichts heute. Wieder nichts geschafft.» Mit solchen Kommentaren gehen viele meiner Kolleginnen abends nach Hause. Sie sind frustriert, weil sie wieder zu wenig Zeit für die einzelnen Patienten hatten, weil sie sich den ganzen Tag getrieben fühlten.
Ich kann sie alle sehr gut verstehen. Ich habe ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht, aber nicht nur. Auch in unserem Beruf hängt viel von der inneren Einstellung ab. Da ich mehrfach den Arbeitgeber gewechselt habe, kenne ich viele verschiedene Einrichtungen.
Es ist erstaunlich, wie gross die Qualitätsunterschiede sind, wie unterschiedlich mit den alten Leuten umgegangen wird.
Empörend
Ich beginne mal mit einem sehr krassen Beispiel. 2009 war ich ein knappes Jahr in einem von der Diakonie betriebenen Pflegeheim. An den Wänden hingen Plakate mit christlich geprägten Leitsätzen: «Der Herr ist mein Hirte.» Oder: «Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt.»
Real war es eher so, dass den Patienten vermittelt wurde: Du steht hier im Weg. Das passierte häufig dann, wenn jemand mit seinem Rollator unterwegs war und sich nicht so schnell bewegen konnte.
Zur Person
Die Pflegerin, die hier erzählt, ist staatlich examinierte Krankenschwester. Seit 25 Jahren ist sie in der Pflege tätig. Sie war zunächst stationär im Krankenhaus beschäftigt, danach hat sie alte Leute in der ambulanten Pflege und in Pflegeheimen betreut. Die 52-Jährige ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt seit mehr als 20 Jahren in Hamburg. Sie arbeitet in Vollzeit und verdient netto 2500 Euro.
Demente Menschen wurden besonders schlecht behandelt. Viele sassen einfach herum, riefen ins Leere, als wären sie gar nicht vorhanden.
Oft haben die Pflegekräfte Medikamente gezielt zu falschen Tageszeiten gegeben, also zu früh am Abend, damit sie die Patienten ins Bett legen konnten und aus dem Weg hatten. Bei Leuten mit Weglauftendenzen haben die Pflegekräfte die Bettgitter hochgemacht, damit die Patienten nicht mehr aus dem Bett kommen.
Ich habe viel Resignation bei den dementen Heimbewohnern gespürt, Ohnmacht, Wut, Angst, Gegenwehr. Man merkt das an ihrer Mimik, ihrer Körpersprache.
Wenn ich mich um einen Patienten etwas länger kümmerte, hiess es ganz schnell von einer Vorgesetzten: «Du bist zum Arbeiten hier, nicht zum Rumpuscheln.» Oder: «Nun kämm’ doch nicht stundenlang an der Frau herum, wir haben auch noch zu tun.»
Als wäre die Zuwendung, die ich gebe, keine Arbeit. Ich habe es trotzdem so gemacht, auch wenn ich damit angeeckt bin und öfter zum Gespräch mit Vorgesetzten zitiert worden bin. Anders hätte ich den Job nicht machen können.
Stutenbissig
Das Klima unter den Kollegen war schrecklich: stutenbissig, verleumderisch. Es gab bei uns eine Art Spitzel-Hierarchie: Wer petzt oder der Bereichsleitung um den Bart geht, gewinnt. Da wurde sich gegenseitig in die Pfanne gehauen, hinterm Rücken getratscht. Tiefer geht es nicht mehr.
Da hätte wirklich mal jemand wie Günter Wallraff bei uns undercover recherchieren sollen.
Ich war damals mit zwei Kindern alleinerziehend und hatte eine Teilzeitstelle. Oft hiess es, ich solle Überstunden machen, ich hätte ja noch Luft. Meine Vorgesetzten nutzten aus, dass ich alleinerziehend war, sie dachten, ich hätte bestimmt Angst um meinen Arbeitsplatz.
Meine Überstunden wurden nicht automatisch bezahlt, ich musste darum kämpfen. Ausserdem hatte ich dort nur Zeitverträge, das würde ich heute nicht mehr machen. Ich habe immer wieder versucht, etwas zu verändern, mich mit Kolleginnen zusammen zu tun, aber es war nicht möglich, die Hierarchie war sehr starr. Deshalb habe ich nach einem knappen Jahr gekündigt – und es nie bereut.