Sie betreten als Pflegefachperson das Zimmer mit dem Ziel, den Patienten zu waschen. Ob Sie ihn wirklich so waschen können, wie Sie sich das vorgestellt haben, hängt wesentlich von dem ab, was vor dem Waschen passiert.
An diesem Beispiel illustriert Giovanni Maio, Ethiker, Philosoph, Arzt und Autor, dass die eigentliche pflegerische Leistung nicht die Handlung «Waschen» ist, sondern die Interaktion und der wertschätzende Umgang mit dem Patienten oder der Patientin.
Bereits beim ersten Schritt ins Patientenzimmer muss die Pflegefachperson mit allen Sinnen die Atmosphäre, die Stimmung im Patientenzimmer erfassen und erspüren.
Vor dem ersten Wort nimmt sie Blickkontakt auf, wobei der Blick schon viel über die aktuelle Gemütslage des Patienten aussagt. Dann kommen die ersten Worte; es gilt die Stimmlage, die Artikulation, die Lautstärke wahrzunehmen, die wichtiger sein können als der Inhalt der Worte.
Checklisten-Rationalität
Giovanni Maio, Professor für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg (D), bedauert, dass heute die Pflege mehr und mehr auf fixe Verrichtungen reduziert wird.
Diese überhand nehmende «Checklisten-Rationalität» führe dazu, dass jede Minute dokumentiert werden müsse: «Wenn Sie nicht genügend dokumentieren, sind Sie unproduktiv.» Dies zeige sich insbesondere in der Spitex mit ihren strikten Zeitvorgaben.
Stattdessen plädiert Giovanni Maio dafür, wieder stärker den Menschen ins Zentrum zu stellen, und da sei die Kommunikation entscheidend.
«Gespräch ist nicht alles. Aber ohne Gespräch ist alles nichts.»
Zur Illustration zitiert Maio aus einer Geschichte des Psychoanalytikers Sigmund Freud: «Ein Kind, das sich in der Dunkelheit ängstigte, rief ins Nebenzimmer ‹Tante, sprich doch zu mir, ich fürchte mich!› ‹Aber was hast du davon, du siehst mich doch gar nicht!› Darauf das Kind: ‹Wenn jemand spricht, wird es heller!›».
Bewusste Wortwahl
«Die Kraft der heilsamen Worte» ist auch das Thema von Sandra Mantz, Pflegefachfrau und Sprachkompetenztrainerin. Sie hat die Denk- und Sprachmuster im Pflegealltag analysiert und festgestellt, dass die Sprache oft vieldeutig, floskelhaft und wenig vertrauenserweckend ist.
Es ist ihr ein Anliegen, mehr Bewusstsein für unser eigenes Defizit im Kommunikationsverhalten zu entwickeln. Der Alltag im Spital und im Pflegeheim sei geprägt von den Begriffen «müssen» und «schnell»: «Ich muss schnell den Blutdruck messen oder schnell das Essen bringen, Sie müssen sich gedulden!» Die Zeit – insbesondere für Gespräche – ist immer knapp.