«Ich bin immer weniger bereit, anderen Menschen meine Situation als etwas Schlimmes zu verkaufen. Unser Leben ist ein gutes Leben. Auch wenn es nicht immer einfach ist.»
Sofia Jüngling lebt mit ihrem Vater, ihrer besten Freundin und einem weiteren Mitbewohner in einer inklusiven Wohngemeinschaft. Ihr «Paps» ist früh an Multipler Sklerose erkrankt und hat noch weitere Diagnosen. Seit einigen Jahren ist er demenziell verändert.
Als Sofia 2017 zu ihrem Vater in dessen Doppelhaus zog, wollte sie zunächst niemanden einladen. Das Haus stand zwölf Jahre lang leer. Dann kam die Pandemie und mit ihr die Idee, die WG zu vergrössern.
«Jetzt ist es zu einem Zentrum aufgeblüht», erzählt Sofia. Aus dem renovationsbedürftigen Gebäude ist ein gemütliches Heim geworden. In den Sommermonaten beherbergt die WG oft weitere Gäste.
Besonders der lauschige Garten mit Terrasse und Feuerstelle lädt zum Verweilen ein. Hier sitzen die WG-Bewohner:innen beisammen, unterhalten sich, hören Musik – mal die der «Jungen», mal Klassik in voller Lautstärke; die mag Sofias Vater besonders.
Die Nähe zu seiner Tochter und den jungen Erwachsenen gefällt Sofias Papa. Er ist aufgeblüht, seit er so viel Gesellschaft um sich hat, die ihn einbindet, ihm aber auch Raum gibt.
Samen pflanzen, Bohnen ernten, Postkarten malen … Das sind Beschäftigungen, die die Sinne ansprechen und Spass machen. «Sein kognitiver Zustand ist besser geworden», sagt Sofia. Sie ist von der heilsamen Wirkung sozialer Ansprache überzeugt.
Ihre WG nennt Sofia liebevoll die «Dahamas». Ein Ort, an dem man sich zuhause fühlen kann. Der Alltag wird gemeinsam gestaltet. Das gehört zum Deal einer inklusiven WG. Auch wenn jede:r sein eigenes Reich hat – der Vater wohnt in einer Haushälfte, Sofia und ihre gleichaltrigen Mitbewohner:innen in der anderen.
Ist eine inklusive WG das Patentrezept in der Betreuung von Menschen mit Demenz?
Nein, sagt Sofia: «Das Leben in einer inklusiven Wohngemeinschaft ist nur für Menschen geeignet, die wissen, worauf sie sich einlassen. Es ist total bereichernd, bedeutet aber auch viel Arbeit und Kompromisse.» Konkret: für Sofias Papa da sein oder ihm auch einmal die Medikamente reichen.
«Allein mit meiner Grossmutter schaffe ich das nicht», erklärt Sofia. Ihre Oma wohnt in derselben Strasse und betreut ihren Sohn tagsüber, sofern er nicht in der Tagesstruktur ist. Das ist er aktuell viermal pro Woche.
Natürlich muss das Modell inklusive WG auch für den demenziell veränderten Menschen stimmen.
Sofia ist froh, dass ihr Papa weder depressiv noch aggressiv, sondern sehr gesellig ist. Manchmal hat er einen Hang zum Dramatischen. «Aber den hat die ganze Familie», lacht Sofia.
2017 begann das «Experiment» inklusive WG. Vorausgegangen ist ihm ein Schockerlebnis.
«Mein Paps war schon erkrankt, bevor ich auf die Welt kam. Ich bin also in diesem Bewusstsein aufgewachsen», erzählt Sofia. «Mit der Scheidung unserer Eltern sind seine gesundheitlichen Veränderungen dann immer deutlicher geworden.»
Mangels Auto nahm Sofias Vater den Bus, um seine beiden Kinder zu besuchen. Doch oft tauchte er nicht zu den vereinbarten Tagen und Zeiten auf oder besuchte seine Kinder in der Schule, weil er den Weg zur Wohnung nicht fand.