Das Unsichtbare als Kraftquelle in der Not - demenzjournal.com

Spiritualität und Covid

Das Unsichtbare als Kraftquelle in der Not

Die Pandemie zeigte die lebenswichtige Funktion der Pflegenden – aber nicht das schlagende Herz des Berufs. Mulyadi/unsplash

Spiritualität versorgt den Menschen mit Lebenskraft. Als unsichtbarer Kern der Pflege wird sie von Pflegenden genutzt, zum Wohl der gepflegten Menschen und für sich selber. In schwierigen Situationen, die durch die Pandemie noch verschärft wurden, ist sie eine unterschätzte Quelle der Energie.

Von Serena Buchter*

Der sehbehinderte Herr Clavadetscher** wurde im letzten Jahr zum fünften Mal wegen Komplikationen im Zusammenhang mit seinerchronischen Krankheit hospitalisiert. Dort hat er sich mit Covid infiziert. Er beklagt sich oft. Das Pflegepersonal in der Covid-Station hat Schwierigkeiten, seine Not zu lindern.

Eine Pflegefachfrau bietet ihm an, seine Angehörigen via Whatsapp zu kontaktieren. Sie hört, wie er mit ihnen über seinen Kummer redet, und merkt, dass er sich verlassen und als Opfer von Ungerechtigkeit fühlt.

«Immer trifft es mich. Und mit Covid auch! Eine echte Strafe! Ich bin verflucht.»

Verbittert gibt er der Pflegefachfrau das Telefon, damit sie aufhängt. Sie hört noch, wie seine Familie am anderen Ende versucht, ihn zu beruhigen und beendet den Anruf.

Dynamik des Lebens

Wir sprechen in der Regel von Notfällen, wenn es darum geht, die Lebensfähigkeit von Menschen, Organisationen und der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. In der Pflege geht es darum, ein Leben zu retten, und wir Pflegefachleute wissen, wie das geht.

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Aber welches Leben, welche Aspekte des Lebens pflegen wir in Notfällen und insbesondere in Zeiten gesundheitlicher Krisen? Biologisches Leben, psychisches Leben, soziales Leben, intellektuelles Leben, kulturelles Leben, spirituelles Leben…?

Im spirituellen Leben geht es auch um Hoffnung, manchmal um eine übertriebene Hoffnung auf Genesung, aber auch um Hoffnung auf Gelassenheit.

Eine Charakteristik der Spiritualität ist es, dass sie die Erfahrungswelt der Menschen – sowohl der gepflegten als auch der pflegenden – durchdringt. Sie bricht das Gefüge auf, um Platz für die Dynamik des Lebens zu schaffen.

Eingebunden sein, Hoffnung schöpfen

Das spirituelle Erleben kann sich in der Suche nach einem Sinn in dem, was uns widerfährt, ausdrücken: «Es war eine Prüfung, die mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich bin.» Oder es zeigt sich im Gegenteil in der Sinnlosigkeit der Erfahrung, wie im Fall von Herrn Clavadetscher: «Warum ich? Warum jetzt?».

Er fühlt sich verflucht. Ihm passieren nur schlimme Dinge, deren Sinn er nicht sieht und die er als Strafe erlebt. Spiritualität kann auch darin bestehen, sich eingebunden zu fühlen, durch eine Verbindung mit den Kräften der Natur, mit der Menschheit, mit Gott. Das kann durch sehr unterschiedliche Mittel geschehen: durch Gebet, Meditation, Solidarität…

Dabei handelt es sich um spirituelle Ressourcen, und die Pflegenden sind eingeladen, sie zu nutzen. Denn sie haben ein besonders offenes Ohr für die spirituelle Not, in der manchmal auch ein Todeswunsch zum Ausdruck kommt. Offenbar kann Herr Clavadetscher nicht mehr wirk lich an das anknüpfen, was einmal sinnvoll und gut war, und auch nicht an seine Familie.

Quelle YouTube

Im spirituellen Leben geht es auch um Hoffnung, manchmal um eine übertriebene Hoffnung auf Genesung, aber auch um Hoffnung auf Geduld, auf Gelassenheit im Angesicht des Leids, Hoffnung auf die Zeit danach: Nach der Krankheit, nach dem Tod. Herr Clavadetscher scheint keine Hoffnung mehr zu haben. Aber ist das wirklich so, oder fürchtet er sich einfach davor, Hoffnung zu haben oder sie zu äussern, aus Angst, dass sie enttäuscht wird?

Eine Annäherung an das Geheimnis des Lebens

Das spirituelle Leben kommt auch durch Werte zum Ausdruck: «Das Wichtige für mich ist…». Dabei kann es sich zum Beispiel um Solidarität, Gleichheit oder Respekt handeln. Im Gespräch mit Herrn Clavadetscher erfährt die Pflegefachfrau, dass ihm Loyalität wichtig ist. Er war immer loyal gewesen: zu dem, was er tut und zu seinen Mitmenschen.

Was ihm widerfährt, erlebt er als Treulosigkeit gegenüber dem, was er ist, nämlich loyal. Er versteht nicht, warum ihm das widerfährt, wo er doch immer das Gefühl hatte, dass er etwas Gutes tut. Spiritualität in der Pflege ist das Bedürfnis, Vergebung auszudrücken oder zu erhalten. Sie kann sich auch in Verbitterung über ein Leben äussern, wie bei Herrn Clavadetscher.

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Er fühlt sich verlassen und überträgt seinen Kummer auf seine Familie, die sich ihrerseits hilflos fühlt. Für manche kann es auch Dankbarkeit gegenüber dem Leben sein, die Überzeugung, gesegnet zu sein. «Ich bin glücklich über alles, was ich erlebt habe, aber ER darf mich jetzt holen», sind Worte, die manchmal von Menschen im hohen Alter gesagt werden.

Und dann ist Spiritualität all das tiefe Streben, das in unseren Impulsen steckt, das uns manchmal sogar in den Tiefen der Erschöpfung der Krankheit beseelt, auch wenn das unver- nünftig erscheint. Sie umfasst auch all die Überzeugungen und das Misstrauen, die uns ausmachen.

Spiritualität ist all das, was unsere Identität ausmacht und uns einzigartig macht: Ein für jeden von uns spezifischer Zugang zu den Geheimnissen des Lebens.

Für manche schliesst das eine Beziehung zu Gott oder zu einer anderen Form der Transzendenz ein, für manche nicht.

Herr Clavadetscher glaubt an Gott. Gemäss seinem Glauben sollte Gott ihn vor dem beschützen, was ihm widerfährt. Entweder ist Gott nicht das, was er sich bisher vorgestellt hat, oder Gott schickt ihm schlechte Dinge, und er weiss nicht, wie er damit umgehen soll: Er erlebt eine tiefgehende spirituelle Krise.

Schliesslich kann sich Spiritualität auch in zahlreichen Formen der Überwindung manifestieren: «Wir hätten nie gedacht, dass wir dazu fähig sein würden», hörte man von Pflegeteams während der ersten Welle von Covid.

«Diese Art von Journalismus hilft Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen. demenzjournal.com ist eine äusserst wertvolle Plattform, nicht zum Vergessen!»

Irene Bopp, ehemalig Leitende Ärztin Memory Clinic Waid in Zürich

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Sie erlebten eine Art paradoxer Freude angesichts einer dramatischen Situation. Spiritualität kann sich darin zeigen, dass man die Grenzen des Möglichen überschritten hat, als ein Durchgang am Ende dessen, was man als Sackgasse gesehen hat.

Wird es Herrn Clavadetscher gelingen, einen Durchgang in seiner Wahrnehmung zu öffnen, um die Sichtweise der an- deren Menschenum ihn herum wieder zu bemerken?

Der vierbeinige Weggefährte

Die Pflegefachfrau, die das Gespräch mit der Familie miterlebte, war es nicht gleichgültig und sie konnte Herrn Clavadetscher nicht verlassen, ohne ihm zu zeigen, dass sie ihn unterstüzen will.

Sie schilderte ihm ihren Eindruck: «Das ist schwer, was sie über sich selbst sagen». Sie gibt Herrn Clavadetscher so die Möglichkeit, weiter zu reden. Sie teilt ihm mit, dass sie sich um ihn sorgt: «Es berührt mich und ich weiss noch nicht, wie ich Ihnen helfen kann. Was wäre für Sie jetzt am wichtigsten?»

Spiritualität entsteht in der Pflege ganz selbstverständlich – ist aber für die Öffentlichkeit nicht sichtbar.Viki Mohamad/unsplash

Herr Clavadetscher sagt, dass er nach Hause möchte, um seinen Hund wiederzusehen. Die Pflegefachfrau ist überrascht, denn es ist das erste Mal, dass er den Hund erwähnt. Der Hund, so sagt er, sei seit sechs Jahren sein treuer Begleiter, seit er an der Sehbehinderung erkrankt ist.

Die Pflegefachfrau lässt ihn von dem erstaunlichen Verhalten des tierischen Weggefährten erzählen und der Freude, die er spendet. Herr Clavadetscher gewinnt wieder an Zuversicht und lächelt sogar. Die «Strafe» scheint ihn jetzt weniger zu belasten.

Die Pflegefachfrau bespricht im Team, wie man dafür sorgen könnte, dass der Patient so schnell wie möglich für einige Tage nach Hause kann, um seinen Hund wiederzusehen, oder ob es möglich wäre, dass er ihn vor dem Krankenhaus treffen kann, sobald er sich von der Covid-Infektion erholt hat.

Sie zieht ausserdem den seelsorgerischen Dienst bei, denn auch wenn die Beziehung zum Hund fundamental ist, sollte das Gefühl von Herrn Clavadetscher, dass er bestraft und verflucht ist, weiter ergründet und begleitet werden.

Das Unsichtbare des Unsichtbaren

Aber wie steht es um die Spiritualität in der Pflege während der zwei Jahre Pandemie, dieser ausserordentlichen gesundheitlichen Krisenzeit? Als wir nach der ersten Welle die Aussagen der Pflegenden sammelten, schien uns ein Wort ein mediales und internes Phänomen gut zu beschreiben: Offenlegung. Denn etwas offenzulegen heisst, etwas zu zeigen, was man normalerweise nicht sieht, es bedeutet, das Verborgene zu offenbaren.

Die Pflegenden wurden beklatscht, man sah sie jeden Tag auf den Bildschirmen, wegen ihrer Systemrelevanz, ihrer lebenswichtigen Funktion für die Gesellschaft.

Aber eigentlich wurde ihnen eher deswegen applaudiert, weil sie tapfer und mutig die Ängste der Bevölkerung linderten, und wegen ihrem technischen Können bei der Bedienung der Beatmungsgeräte.

Aber sie schienen nicht wirklich Beifall für all die unsichtbaren Handlungen zu bekommen, die das Herzstück ihrer Arbeit sind. Die Offenlegung war also unvollständig: Sie zeigte die lebenswichtige Funktion der Pflegefachpersonen für die Gesellschaft, aber sie zeigte nicht das schlagende Herz des Berufs.

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Pascale Molinier, Sanda Laugier und Patricia Paperman veranschaulichen das sehr gut in ihrem Buch «Was ist Care? (2009). Sie sprechen vom «Unausgesprochenen des Caring», um auf das hinzuweisen, was ganz selbstverständlich geschieht und nicht Gegenstand eines Diskurses ist.

Es ist für die Gesellschaft nicht sichtbar und wird folglich nicht anerkannt. In dieser Unsichtbarkeit ist Spiritual Care tatsächlich doppelt gestraft. Spiritual Care ist das Unsichtbare des Unsichtbaren in der Pflege.

Spiritual Care ist das Zuhören und das Unterstützen eines zarten Hauchs, der alles zusammenhält.

Einige Pflegefachpersonen beschrieben, wie ihre Arbeit in diesem Kontext, in dem sie keine Therapie gegen Covid anbieten konnten, darauf basierte, auf alles zu achten, was das (Über-)Leben der Menschen in diesem Umfeld unterstützen und fördern könnte.

Man kann fast Antoine de Saint-Exupéry hören, wenn von dieser Situation die Rede ist: «Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar». Das Erkennen des Wesentlichen, das sich hinter bio-medizinischen Vorgängen verbirgt, stellt eine besondere Fähigkeit der Pflegefachpersonen dar. Und ein Aspekt davon ist besonders fragil: das Durchhaltevermögen.

Durchhalten können durch den Akt der Pflege

Wir hören von Absentismus und Problemen bei der Rekrutierung von Pflegepersonal, aber sind wir uns bewusst, dass das Durchhaltevermögen, die Beharrlichkeit des Pflegepersonals ganz aussergewöhnlich ist? Hören wir uns an, was sie antreibt und was ihnen ermöglicht, trotz schwierigster Bedingungen weiter zu pflegen.

Auf die Frage, was es ihnen ermöglichte, durchzuhalten und die Kraft zu haben, während und nach der ersten Welle weiterzumachen, nannten die Pflegefachleute die dynamische Solidarität, sei es untereinander, mit anderen Fachpersonen oder mit der Bevölkerung, und schliesslich die Unterstützung durch Familie und Freundinnen und Freunde.

Das ist bis jetzt nichts Besonderes. Das Erstaunliche lag anderswo, nämlich in der Intensität der Antwort auf die Frage: «Woher nimmst du die Kraft?» Sie kam, manchmal nach einem Schweigen, mit einer Selbstverständ lichkeit, manchmal mit in einem gewissen Erstaunen: «Aus der Pflege selbst», oder «Aus der Arbeit, denn auch wenn sie schwer ist, mache ich sie gerne» und «Aus der Tatsache, dass ich mich trotz allem weiter um die Menschen kümmere, die mir anvertraut sind».

https://www.youtube.com/watch?v=5F2HtwdeyyM&t=191s
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Oder auch «Meine Stärke war es, dazusein und weiterzumachen». Mit anderen Worten, diese Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner erholten sich dank der Pflege selber. Sie mussten die Kunst der Pflege in der Zeit des Notstands in all ihren Formen einsetzen und erfinderisch und kreativ sein. Trotz ihrer Ängste, ihrer Erschöpfung und ihrer Wut schöpften sie «einfach»Kraft aus der Fürsorge.

In der Pandemie sind die Pflegenden zu Vorbildern geworden: Indem sie sich selber schützen, aber sich auch um die Mitmenschenkümmern.

Es schien offensichtlich und natürlich, wie eine philosophische Formel: «Die Beharrlichkeit kommt aus dem Akt der Pflege», «Die Kraft kommt aus der Natur der Pflege». Trifft diese Formel in ihrer Einfachheit auf die Mehrheit zu? Wir konnten nur diejenigen befragen, die wir als «Gewinner:innen» bezeichneten, also jene, die ihren Arbeitsplatz nicht verlassen hatten oder pausieren mussten.

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Jene, die vielleicht auch genug stolz waren, um Auskunft zu geben und die nicht von Burnout oder Compassion Fatigue betroffen oder gar traumatisiert waren. Andere mussten, um ihre Arbeit mit gutem Gewissen machen zu können, vielleicht auch Grenzen überschreiten.

Sie liessen heimlich den Besuch der Familie über den Balkon zu, zogen einen Handschuh aus, um einem mit Covid infizierten Menschen im Sterben wenigstens ein bisschen Hautkontakt zu geben, nahmen die Maske ab, um eine Person mit Demenz zu pflegen, die sie nicht verstand, weil sie die Mimik nicht sah.

Es hat Spuren hinterlassen: Die Angst, sich durch den Versuch, menschlich zu bleiben, anzustecken, bleibt haften. Die meisten sagten jedoch, dass sie es nicht bereuen, so gehandelt zu haben. Sie würden es wieder tun, weil sie ihren Grundsätzen treu bleibenwollen.

«Das Durchhaltevermögen speist sich aus dem Akt des Pflegens an sich» – Diese Erkenntnis könnte für die öffentliche Gesundheit von grossem Interesse sein, da die ganze Bevölkerung seit Beginn der Pandemie dazu aufgerufen ist, zu sichselber und zu den Mitmenschen Sorge zu tragen.

Die Pflegen- den sind damit zu eigentlichen Vorbildern für die Bevölkerung geworden. Sie können eine Botschaft vermitteln, beider es nicht nur um die Einhaltung von Hygienemassnahmen oder das «Social Distancing» geht. Sondern darum, sich selber zu schützen, aber auch den Mut zu haben, sich um die Mitmenschen zu kümmern. Denn darin kann man die Kraft finden, den gesundheitlichen Notstand und die damit verbundenen Einschränkungen zu ertragen.

Rituale für die neue Normalität

Der Winter ist eine Zeit der Besinnung. In diesem Jahr wird er eine neue Normalität bringen: Das Virus und seine Varianten werden uns wohl weiterhin begleiten, und neue Gewohnheiten können zu neuen Normen werden. Vielleicht schaffen wir es anzuerkennen, dass wir wirklich in eine neue Normalität eintreten, denn ein Zurück in die Zeit vor der Pandemie ist nicht möglich.

Das könnte uns die Freiheit geben zuzugeben, dass es in Zukunft wahrscheinlich nie mehr so sein wird wie früher, und die neue Welt positiv auf uns zukommen lassen. Das, was für jeden von uns aus der Zeit vor der Pandemie wichtig war, können wir ans Licht bringen, zum Beispiel indem wir im Dezember eine Kerze ins Fenster stellen.

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Diese Zeit bietet uns aber auch Gelegenheit, darüber nachzudenken, was wir in unserem Inneren aus der Gesundheitskrise gelernt haben. Wir können uns selbst und anderen erzählen, was wir gerne besser gemacht hätten, aber auch die Zwängeschildern, in denen wir gefangen waren.

Es kann eine Zeit sein, in der wir um die Situationen trauern, die wir gerne besser gemeistert hätten: Die Menschen, die gestorben sind und die Familien, bei denen wir den Eindruck haben, dass wir unsere Arbeit nicht gut genug machen konnten. Bei denen wir das Gefühl haben, dass wir sie nicht wirklich trösten konnten.

Es kann eine Zeit ein, in der wir mit dem Unterlassenen abschliessen, mit den Dingen, die wir nicht tun konnten, weil wir uns nicht getraut haben, sie zu tun oder weil die Zeit fehlte. Es kann eine Zeit sein, uns innerlich zu vergeben, wenn wir das Gefühl haben, versagt zu haben.

Zeit des Innehaltens

Aber es kann auch eine Zeit sein, in der wir uns dazu beglückwünschen, dass wir solidarisch waren und Leistungen erbracht haben, von denen wir bis jetzt nicht wussten, dass wir dazu fähig sind. Bevor wir in eine neue Normalität eintreten, wäre es schön, wenn diese Zeit des Innehaltens – auch im Team – erlebt und durch eine symbolische Geste markiert werden könnte.

Ob nun weitere Wellen kommen oder ob sie verhindert werden können: Ich hoffe, die Zukunft bietet Ihnen die Möglichkeit, sich zu begegnen und über solche spirituellen Fragen zu reden, dass sie «spirituelle Pausen» einlegen können, die vielleicht auch zu einer Normalität werden.


*Serena Buchter Pflegefachfrau MPH, verantwortliche Wissenschaftlerin im Projekt RESSPIR an der katholischen Universität von Louvain (Belgien). Mitherausgeberin des Buchs «Soins et Spiritualité en temps de pandémie» (2021).

**Name fiktiv

CAS «Spiritual Care» in Zürich

An der theologischen Fakultät der Universität Zürich gibt es seit 2015 einen Lehrstuhl für Spiritual Care, den Prof. Simon Peng Huber innehat. Die Fakultät bietet unter anderem ein CAS in «Spiritual Care» an. Er richtet sich an Fachpersonen aus Spitalseelsorge, Medizin, Pflege, klinischer Psychologie und klinischer Sozialarbeit mit mehrjähriger Praxis.

Der Studiengang vermittelt Kenntnisse zu unterschiedlichen Spiritual Care-Modellen, Grundwissen zur Geschichte moderner Spiritual Care, Einblicke in die aktuelle interdisziplinäre Forschung zu Spiritualität und Gesundheit, sowie Orientierungswissen zu ethischen, interkulturellen und interreligiösen Aspekten der Spiritual Care. Zudem unterstützt der Studiengang dieTeilnehmenden bei der Ausbildung ihrer Fähigkeit zu achtsamer Präsenz und die Klärung der eigenen professionellen Rolle im Feld der interprofessionellen Spiritual Care. Schliesslich fördert der Studiengang die persönliche Verortung im «spirituellen Feld» die Entwicklung konkreter Handlungskonzepte und -modelle sowie Spiritual Self-Care.

www.theologie.uzh.ch/de/faecher/spiritual-care


Dieser Beitrag erschien im Dezember 2021 in der SBK-Zeitschrift Krankenpflege. Wir bedanken uns bei der Redaktion und bei der Autorin Serena Buchter für die Gelegenheit zur Zweitverwertung.