Das Frauenzimmer von Bocas del Toro - demenzjournal.com
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Pflege in Panama (1)

Das Frauenzimmer von Bocas del Toro

Andrea Mühlegg-Weibel vermittelt als Leiterin von Sonnweid der Campus Demenz-Wissen. Derzeit reist sie durch Mittelamerika und arbeitet dort als freiwillige Pflegerin.

«Wie heisst du und was bringst du mir Gutes, mi amiga?», fragt mich Anna. Sie spürt meine Berührung, versteht mein einfaches Spanisch und scheint sich über die Begegnung zu freuen. Seit langer Zeit wohnt sie im «sala de mujeres», dem Frauenzimmer.

Annas ist erblindet und braucht für alles Hilfe, erzählt mir Idania. Heute von 8 bis 16 Uhr betreut sie die 14 Frauen. Viel mehr weiss sie nicht über die Geschichten der Frauen. Biografiearbeit scheint keine grosse Bedeutung zu haben im Alltag dieser Menschen – es ist wie es ist. Bekannt ist einzig, dass sie aus unterschiedlichen Gebieten Panamas kommen und keine engen Familienangehörigen haben.

Anna liegt ganz ruhig im Bett; Arme, Hände und Beine eng an den Körper gezogen, Muskulatur ist kaum noch vorhanden, ihre Haut hat einen schönen leichten Glanz vom Körperpuder. Sie trägt ein leichtes langes T-Shirt und meint auf meine Frage zu Schmerzen:

«Ja, ja ein wenig Schmerzen habe ich schon, aber was bringst du mir Gutes heute? Du kommst aus der Schweiz, oh, da ist es sicher sehr kalt, hast du mir einen Apfel mitgebracht?» Da Anna keine Zähne mehr hat, biete ich ihr für morgen eine Birne an. «Das ist sehr gut, aber bitte nicht vergessen!»

Bocas del Toro liegt im Westen des Landes, acht Autostunden entfernt von der Hauptstadt Panama City.PD

Sophie, Maria und Luisa kommentieren die laufende Fernsehsendung für die blinde Anna. Die Wichtigkeit von Verhütung wird erklärt und die Benutzung von Kondomen demonstriert. Sehr plastisch beschreiben die Frauen die TV-Bilder. Anna und andern Frauen lachen herzlich über die Kommentare.

Sophie und Maria sind Schwestern, sie leben zusammen mit ihrer Mutter im Asilo und scheinen zur guten Laune und Unterhaltung in der «sala de mujeres» viel beizutragen.

Jedesmal, wenn ich den Raum betrete, winken sie mich zu ihnen.

Sie zeigen mir ihre wenigen Habseeligkeiten, bitten mich, bei ihnen auf das Bett zu sitzen, die Hände einzucremen, die Haare zu kämmen oder eine Farbe für das Bild im Malheft auszuwählen.

«Ich arbeite gerne hier, es ist eine ruhige und angenehme Arbeit und wir lachen viel», sagt Idania zu ihrem 100-Prozent-Job. Eine Aussage, die mich berührt, wenn ich an die Äusserungen vieler Kolleginnen in der Schweiz denke.

Lesen Sie den zweiten Teil:

Pflege in Panama (2)

Rico, der genügsame Jubilado

Die Demenz-Expertin Andrea Mühlegg-Weibel reist durch Mittelamerika – und arbeitet dort als freiwillige Pflegerin. Im zweiten Teil ihres Erfahrungsberichts aus Panama erzählt sie … weiterlesen

Das «Casa de asilo» ist eine der wenigen Institutionen in Panama für ältere Menschen oder Menschen mit Einschränkungen ohne nahe Familienangehörigen. Es wird vom Staat mit wenig Geld unterstützt. Die Organisation ist sehr auf freiwillige Mitarbeiter, Spenden und Gaben angewiesen.

Im «Casa de asilo» steht jeder Frau ein Bett und ein kleiner Nachttisch zu Verfügung. Ideal sind im zirka 60 Quadratmeter grossen Raum drei Eckplätze, da stehen die Betten an der Wand und die Frauen können ihre persönlichen Sachen besser ausbreiten.

In diversen Körben, kleinen Säcken und Täschchen drapieren einige Frauen Kleider, Schmuckstücke aus Plasik, die Haarbürste, Nähzeug, ein Foto, einen Kugelschreiber.

Bei Anna steht nur eine kleine Schale mit Lavendelpuder auf dem Nachttisch. Sie scheint keinen Besitz mehr zu haben oder zu brauchen.

In der «sala de mujeres» herrscht eine friedliche, entspannte Atmospäre. Es gibt keine Bettgitter, Klingelmatten oder Rufsysteme, obwohl fünf Frauen nur mit viel Hilfe aufstehen können. Die eigenständigeren Frauen haben ihre Aufmerksamkeit auch immer einwenig bei den hilfsbedürftigeren Personen.

Der Arbeitsplan für einen Monat besteht aus jeweils drei Namen pro Tag – den drei Frauen, die für die Schichten von 8 bis 16, 16 bis 12 und 12 bis 8 Uhr zuständig sind. Pflegepläne oder Bewohnerdokumentationen kann ich nicht finden.

Die Bewohnerinnen breiten gerne ihre wenigen Habseligkeiten aus.Andrea Mühlegg-Weibel

Einmal pro Woche kommt eine Ärztin der «floating doctors» vorbei und erkundigt sich persönlich bei den Menschen nach ihrem Befinden. In einem winzigen Kasten stehen die Medikamente für die 34 Bewohner des «Casa de asilo» bereit. 

Als freiwillige Mitarbeiterin unterstütze ich die Betreuerin bei ihren täglichen Aufgaben, plaudere mit den Frauen, mache die Betten, putze das Badezimmer und den Boden und helfe bei der Wäsche. Gestern wurde eine neue Waschmaschine installiert, ein Geschenk von Unbekannt. Welch eine Erleichterung für die Mitarbeiterinnen!

Die «sala de mujeres» ist durchzogen von einer frischen Brise, denn das «Casa de asilo» steht direkt am Meer, ein wunderbarer Platz mit grossem Garten und herrlichem Ausblick. Die Menschen hier verbringen ein sehr einfaches Leben in einer grossen Gemeinschaft.

Ab und zu kommen Personen von verschiedenen Kirchen und Freiwilligen-Organisationen vorbei und bringen etwas Unterhaltung in den gleichförmigen Alltag der Bewohner.

Mit diesen Eindrücken möchte ich euch einwenig teilhaben lassen an meinen Erfahrungen in einem fremden, und irgendwie doch sehr vertrauten Land.

Auch hier ist das Wichtigste die Beziehung und Zuwendung.

Es spielt kaum eine Rolle, woher ich komme. Mich erinnert die «sala de mujeres» ein wenig an die Oase in der Sonnweid in Wetzikon, in der Menschen mit schwerer Demenz im gleichen Raum leben.