Es beginnt und endet mit einem Handschlag, einem freundlichen Lächeln und lieben Worten. Dazwischen ist die Poesie.
Wenn Pauline Füg und Prof. Dr. Henrikje Stanze zur DemenzPoesie einladen, wissen die Teilnehmenden oft nicht genau, was sie erwartet. Es geht um Gedichte, das ist meist klar, aber was kann das bringen?
Wenn die Session vorbei ist, haben die beiden oft etwas geschafft, was im Alltag mit Demenz häufig untergeht: unbeschwerte Augenblicke zu erleben, Erinnerungen zu wecken und Erfolgserlebnisse zu vermitteln. Wie? Mit ihrer Art und Weise, Gedichte vorzutragen.
«Knusper, knusper, knäuschen…», beginnt Pauline Füg häufig eine Veranstaltung. «Meist steigt da schon jemand mit ein», erzählt sie. Dann sprechen sie gemeinsam weiter: «Wer knuspert an mein Häuschen?»
Oft nutzen sie auch die Technik des «Call and Response»: Eine der Poetinnen sagt eine Zeile vor und die Teilnehmenden sprechen diese Zeile nach oder antworten darauf.
«Wir passen unser Programm auf die Jahreszeit und das Umfeld an und beziehen oft Gegenstände mit ein», erklärt Pauline Füg.
Das können duftende Blumen im Sommer sein oder raschelndes Laub im Herbst, aber auch Alltagsutensilien wie eine alte Milchkanne von früher.
Pauline Füg ist Psychologin und arbeitet freiberuflich als Coach und Autorin, Henrikje Stanze ist Professorin für Pflegewissenschaften an der Hochschule Bremen. Beide arbeiten auch als Autorinnen und teilen die Leidenschaft für Poesie.
Sie traten als Poetry Slammerinnen auf und lernten dadurch den amerikanischen Poetry-Slammer Gary Glazner kennen. Er entwickelte das Alzheimer’s Poetry Project, eine Therapieform für Menschen mit Demenz.
«Wir hospitierten bei ihm und entwickelten daraus eine eigene Therapieform für die deutschsprachige Region», erzählt Pauline Füg. Therapie klingt nach tiefen Gesprächen und medizinischer Atmosphäre.
Bei den beiden Poetinnen geht es oft sehr lustig zu.
Etwa wenn Henrikje Stanze ihre beiden Zeigefinger als Hörner an den Kopf hält, durch den Raum stolziert und dabei das Gedicht «Die Kuh» von Heinz Erhardt vorträgt. «Da kommt oft von alleine ein ‹Muh› von den Zuhörern», erzählt Henrikje Stanze.
Die beiden treten immer als Team auf: abwechselnd trägt die eine das Gedicht mit grossem Körpereinsatz vor, die andere geht herum und aktiviert die Teilnehmenden. Sie regt zum Mitmachen an und nimmt Reaktionen und Gefühle auf.
«Die Kuh» – Heinz Ehrhardt
weidet ausgerechnet diese
eine Kuh,
eine Kuh.
Ach ihr Herz ist voller Sehnen
und im Auge schimmern Tränen
ab und zu,
ab und zu.
Was ihr schmeckt das wiederkautse
mit der Schnauze, dann verdautse
und macht muh,
und macht muh.
Träumend und das Maul bewegend,
schautse dämlich in die Gegend
grad wie du,
grad wie du.
«Besonders Gedichte aus der Schul- und Jugendzeit kommen gut an, denn die sind im Langzeitgedächtnis oft fest verankert», sagt die Pflegewissenschaftlerin. Deshalb haben sie häufig Gedichte von Schiller, Goethe oder Eichendorff im Repertoire. Je nach Region ergänzen sie dies um lokale Dichter.
«Wir freuen uns, wenn die Teilnehmenden mitsprechen, aber das ist gar nicht das eigentliche Ziel», sagt Pauline Füg. «Menschen mit Demenz erleben im Alltag viele Frustrationen, weil sie merken, dass ihre Fähigkeiten abnehmen und ihre Erinnerungen nachlassen.»
«Uns geht es vor allem um Spass am Moment, um das Gemeinschaftsgefühl, das durch die Sessions entsteht und um die Erfolgserlebnisse, die durch bekannte Texte und Gedichte entstehen.»
Die beiden Poetinnen nutzen die Ressourcen der Teilnehmenden und laden zum kreativen Miteinander ein. Vor jeder Session stellen sie ein Programm mit Gedichten zusammen. «Wie wir das umsetzen und aufführen, hängt aber immer auch von der Gruppe ab», erzählt Henrikje Stanze. Jeder sei eingeladen, egal, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sie noch haben.