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Gärten für Menschen mit Demenz (2)

Rastlosigkeit und Glücksmomente

Das »Wandern« von Menschen mit Demenz wird meist als ruheloses Umherstreifen abgetan. Dabei weist Rastlosigkeit auf ein unerfülltes Bedürfnis hin, dem man Raum schaffen sollte, statt es zu unterdrücken.

Von Ulrike Kreuer

Sich frei bewegen zu können ist ein wichtiger Bestandteil selbstbestimmten Handelns. Selbstbestimmung, auch unter den Bedingungen von Demenz, ist notwendige Voraussetzung für ein würdevolles Leben. Die Natur bietet einen großartigen Rahmen, das natürliche Bedürfnis nach Bewegung und Autonomie auszuleben.

Gehen ausdrücklich erwünscht!

Im Park oder Garten kann man seinem Bewegungsdrang stattgeben. Auch wenn nur wenige Meter Wegstrecke zur Verfügung stehen oder machbar sind: Eine Reise auf diesen Metern ist ein Stück Selbstverwirklichung. Voraussetzung ist natürlich, dass der Weg barrierefrei und sicher ist.

Während eines Projekts traf ich einmal einen ehemaligen Langstreckenläufer. Wie eingesperrt muss sich dieser Mann gefühlt haben, bevor es den Garten gab? Jetzt hat er wieder eine »Trainingsstrecke«, auf der er neue Rekorde gehen kann. Und ich meine, dass man ihm sein Glück ansieht.

Oder da gab es die alte Dame, die sich zurechtmacht für ihren Ausflug: Sie hüllt sich in einen schicken Mantel, wählt die dazu passende Lederhandtasche aus. Noch adrett die Haare frisiert und ein letzter prüfender Blick in den Spiegel. Jetzt ist sie bereit für ihre kleine Reise. Mit zufriedenem Gesicht startet sie das Unternehmen Ausflug durch den Garten.

Es sind oft die kleinen Reisen, die das Leben strukturieren und lebenswert machen.

Das Gehen oder »Wandern« wird bei Menschen mit Demenz meist als ruheloses Umherstreifen bezeichnet. Weist aber eine Ruhelosigkeit nicht gerade auf unerfüllte Bedürfnisse hin, denen man Raum schaffen sollte, statt sie zu unterdrücken?

Ulrike kreuer

Seit 20 Jahren entwickelt Ulrike Kreuer therapeutisch wirksame Gärten für und mit Senioren. Ihr Unternehmen »Der Dritte Frühling – Gärten für Menschen mit Demenz« wurde 2005 mit dem Innovationspreis von NRW ausgezeichnet. Sie ist Referentin für Gartentherapie und führt Workshops für Einrichtungen und Angehörige durch. Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Gartentherapie (IGGT).

Dieser Raum sollte allerdings so gestaltet sein, dass ältere und an Demenz erkrankte Menschen sich gut orientieren können. Dazu muss man ein paar Punkte beachten:

  • ablesbare Raumstruktur durch kontrastreiche Einfassung der Wege oder begleitende Mauern
  • sich wiederholende Formen der Sitzplätze (Wiedererkennungseffekt), zum Beispiel kreisrunde Plätze
  • klare Strukturen
  • Sackgassen vermeiden
  • Unterstützung bei Richtungswechsel durch organisch fließende Wegeführung
  • verständliche Wegeführung durch klare Unterteilung in Haupt- und Nebenwege und wenig Abzweigungen
  • klare Orientierungspunkte an Kreuzungen und Weggabelungen

Der Mensch folgt dem Wasser

Jeder Garten oder Park wird von einem Wegenetz durchzogen. Wege können durch reizvolle Oasen führen oder sich schier endlos durch Grünland schlängeln. Entscheidend dafür, ob wir diese Wege als harmonisch, stimmig und angenehm empfinden, ist der Verlauf dieser Wege:

»Denn der Bewegungsfluss eines Menschen folgt den Gesetzmäßigkeiten des Wassers, das sich an bestimmte Bahnen hält.«

So Friedrich Ludwig Sckell, deutscher Gartenarchitekt (1750-1823). Er legte Wege an, die diesen Bewegungsimpuls des Menschen berücksichtigen. Dabei ließ er die Wege sanft schwingen, wie einen Wasserstrom durch die Landschaft fließen. Der deutsche Landschaftsarchitekt Günther Grzimek (1915-1996) drückte es so aus:

»Der Mensch geht, wie das Wasser fließt – komme, was da wolle.«

Auch Menschen mit Demenz folgen diesem Bewegungsimpuls. Oder besser gesagt: Gerade Menschen mit Demenz brauchen diese energetische Spur, der sie folgen können.

demenzwiki

Orientierung

Die Fähigkeit zur Orientierung ist eine komplexe Leistung des menschlichen Gehirns. Im Alter lässt sie meistens nach, und im Verlauf einer demenziellen Erkrankung … weiterlesen

Immer wieder beobachte ich, dass Wege, die sanft fließen, häufiger begangen werden – selbst wenn Gefälle oder andere Elemente unwegsame Hindernisse bilden. Oft werden sogar Rollatoren und Rollstühle über Schotter und Rasen geschoben, weil dort der natürliche Bewegungsimpuls entlangführt.

Ich muss dann schmunzeln, wenn ich sehe, wie ausdauernd Bewohner:innen und Mitarbeiter:innen in ihrem Bestreben sein können, die Wegführung anzupassen. Jeder kennt sie, die Trampelpfade oder Schleichwege, die darauf hinweisen, dass bei der Planung eine simple Tatsache vergessen wurde: Dass Menschen eben anderen Impulsen gehorchen als den sorgfältigen Planungen auf dem Reißbrett. (Fortsetzung folgt …)

Praxistipp

Probieren Sie es selbst aus, im eigenen Garten oder im Park. Wandern Sie gemeinsam durch die Landschaft und achten Sie darauf, wohin Ihre Aufmerksamkeit gelenkt wird. Was zieht Sie an? Welchen Bahnen folgen Ihre Bewegungen?

Suonen und Waalwege in der Sonnweid

Das Element Wasser ist sinnlich und anregend, jeder Mensch trägt es in sich alzheimer.ch/Marcus May


Bücher

Ulrike Kreuer, »Gartengestaltung für Menschen mit Demenz« (Haupt, 2020)
Ulrike Kreuer,  »Das Gartenjahr für Menschen mit Demenz« (Reinhardt, 2022)
Arno Geiger, Der alte König in seinem Exil, (Hanser, 2011)
Mary Marshall, Kate Allen, Ich muss nach Hause – Ruhelos umhergehende Menschen mit einer Demenz verstehen, (Huber, 2011)