Der Raum füllt sich langsam mit Menschen, während Eva Blanco aus Stühlen einen Kreis formt und ihre Instrumente auspackt. Pflegende begleiten Bewohnerinnen und Bewohner zu ihren Plätzen und schieben Rollstühle in den Kreis.
Schliesslich sind es sechs Frauen und vier Männer – alles Menschen mit Demenz – die an diesem Nachmittag im Tertianum Etzelgut in Zürich an der musikalischen Aktivierung teilnehmen.
Klavier, Gitarre und Lieder gehören allerdings nicht zum nachmittäglichen Programm. Eva Blanco hat Exotisches und Unkonventionelles mitgebracht. Gleich zu Beginn packt sie ein Hang aus und erklärt dessen Herkunft.
Eine Dame scheint sich zu erinnern, winkt ab und ruft etwas mürrisch, dass sie das doch schon kenne und bereits das letzte Mal davongelaufen sei. Sie bleibt vorerst sitzen und Eva Blanco lässt sich nicht beirren. Bald hat sie die Aufmerksamkeit im Raum und beginnt eine erste Melodie auf dem Hang zu spielen
Klänge für Menschen mit Beeinträchtigungen
Eva Blanco, ausgebildete Shiatsu-Therapeutin, lernte das Hang vor etwa 15 Jahren durch einen Bekannten kennen. «Ich war sofort fasziniert», sagt sie, «zumal Musik schon immer einen wichtigen Platz in meinem Leben einnahm.»
Das Hang – eine Schweizer Erfindung
Im Jahr 2000 erfanden Felix Rohner und Sabina Schärer das Musikinstrument Hang. Zu seinem Namen kam es, weil es mit Fingern und Händen gespielt wird: Hang bedeutet auf Berndeutsch Hand. Das Instrument besteht aus zwei miteinander verklebten Halbkugelsegmenten aus Pang, einer Art Stahlblech. Auf der oberen Hälfte befinden sich Klangfelder, ähnlich wie bei der karibischen Steeldrum. Aufgrund der hohen Nachfrage nach dem Instrument produzieren heute auch andere Unternehmen unter dem Namen Handpan ähnliche Instrumente.
Da es damals noch keine Lehrpersonen für dieses Instrument gab, brachte sie sich fast alles selbst bei. Oft hat sie sich Youtube-Videos von begabten Schlagzeugern und Perkussionisten angeschaut, denn diese seien meist sehr gute Hang- oder Handpan-Spieler.
Als sie eines Tages am See sass und Hang spielte, kam ein Kind mit einer Behinderung vorbei und hörte gebannt zu. «Das Kind war berührt und begeistert», erzählt Blanco. Sie ist davon überzeugt, dass die Hang-Klänge besonders bei Menschen mit Beeinträchtigungen ungefiltert ankommen und viel bewirken können.
Die Szene mit dem Kind am See brachte sie auf die Idee, das Instrument in Institutionen zu bringen, in denen die Bewohnerinnen und Bewohner keine Möglichkeit haben, es sonst kennenzulernen.
Seit rund zweieinhalb Jahren setzt Eva Blanco diese Idee nun in die Tat um. Sie musiziert mit hirntraumatisierten Menschen, mit Kindern in einem pädagogischen Wohnheim, mit Menschen mit Behinderungen, mit Krebspatientinnen und -patienten sowie mit Menschen mit Demenz.
«Es erfüllt micht, wenn ich etwas weitergeben und Positives bewirken kann. Die Arbeit mit Menschen mit speziellen Bedürfnissen ist sehr bereichernd», sagt Blanco, die auch an Events spielt – Yoga, Vernissagen, Geburtstage – und Konzerte gibt.
Quakende Frösche und trabende Rössli
Inzwischen geht Eva Blanco mit einem Vibratone von Bewohnerin zu Bewohner. Das röhrenartige Instrument aus Metall wird mit einem Stab kurz geschlagen. Man öffnet und schliesst das Loch auf der einen Seite mit dem Finger und produziert so metallische, glockenartige Klänge.
Die Dame, die zu Beginn des Klangnachmittags gar nicht begeistert war, sagt als erstes, sie könne das nicht. Nach ein paar Versuchen gelingt es aber trotzdem und sie hat sichtlich Freude daran.
Die nächste Bewohnerin will das Instrument fast nicht mehr hergeben und ein Herr schlägt wie wild rundherum auf die Metallröhre. So unterschiedlich der individuelle Umgang mit dem Instrument so einheitlich ist die Konzentration, die jede und jeder einzelne beim Spielen zeigt.
Als nächstes machen vier Windspiele mit unterschiedlichen Klängen die Runde. «Schööööön» klinge das, so der allgemeine Tenor. Es folgt ein Holzfrosch mit kleinen Zacken auf dem Rücken, der wie ein Frosch quakt, wenn man mit einem Holzstab darüberstreicht.
Auch hier ist die Herangehensweise wieder sehr individuell. Während der eine rundherum rhythmisch draufklopft, streicht eine andere ganz vorsichtig und kaum hörbar darüber. Schliesslich quakt auch in der Natur nicht jeder Frosch gleich.
Nach dem Frosch zeigt Eva Blanco, wie auf einer Sansula gespielt wird, einem traditionellen afrikanischen Instrument aus der Familie der Kalimbas. Sie muss bei einigen mit den Fingern etwas nachhelfen. Zur Auflockerung erhalten alle einen kleinen Shaker, um etwas Rhythmus zu machen. Eine Bewohnerin findet, es klinge, wie ein «Rössli, das trabe».