Brennt jetzt ein Duftlämpchen auf Ihrem Schreibtisch?

Hier gibt es kein Duftlämpchen. Mein Büro ist auch mein Therapieraum, und ich habe ein Gestell, an dem ich Kräuter aus dem Garten zum Trocknen aufhänge. Deshalb habe ich immer eine Beduftung. Ich will den Raum nicht zusätzlich beduften. Es wäre zu viel.

Welche Pflanzen hängen an dem Gestell?

Es sind Lavendel, Immortelle und Muskatellersalbei. Es werden noch andere dazukommen.

Macht denn Lavendel nicht müde?

Der Lavendel beruhigt – aber vor allem gleicht er aus. Wenn man müde ist, kann er auch anregend wirken und die Konzentration stützen.

Welche Aromen haben Sie zuletzt privat angewandt?

Es waren das ätherische Öl des Lavendels und Rosenhydrolat. Damit behandelte ich gestern meinen Mann, als er sich leicht verbrannt hatte.

Welche Wirkung hat Rosenhydrolat?

Es wirkt stark entzündungshemmend, klärend, stärkend und einhüllend.

Lavendel beruhigt und fördert die Konzentration.PD

Wie sieht der Alltag einer Aromatherapeutin aus?

Ich bin im medizinisch-therapeutischen Dienst in den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK). Der Hauptteil meiner Arbeit ist Aromatherapie mit den Patientinnen und Patienten. Sie kommen einzeln oder in Gruppen zu mir. Ich bin diplomierte Pflegefachfrau, arbeite aber nicht mehr in der Pflege.

Welche Anwendungen haben Sie zuletzt verwendet?

Wir haben an verschiedenen Düften gerochen. Es ging vor allem um Wahrnehmung. Wie kommt der Duft bei mir an? Ist er angenehm oder unangenehm? Die Patienten konnten einen Duft auswählen, den sie in einem Riechfläschchen mitnehmen konnten. Sie wählten Bergamottminze und Fichtennadeln.

Welche Wirkung haben diese Düfte?

Bergamottminze ist erfrischend und anregend, wirkt aber gleichzeitig beruhigend. Sie wirkt gegen Herzjagen, Krämpfe und Nervosität. Fichtennadeln machen den Kopf auf und vertiefen die Atmung. Sie vermindern Stress und Ängste und fördern die Konzentration.

Welche Anwendungen bieten sich bei der Betreuung und Pflege von alten Menschen?

Ich kann zum Beispiel über Raumbeduftung das Klima verbessern und die Stimmung der Menschen positiv beeinflussen. Lavendel, Orange süss, Grapefruit oder Melisse können eine positive Wirkung haben. Es gibt eine grosse Palette – aber ich finde es nicht gut, wenn zu viele verschiedene ätherische Öle zum Einsatz kommen.

Regula Rudolf von Rohr.PD

Welche Anwendungen bieten sich an neben der Raumbeduftung?

Bei einer Waschung kann man entsprechend den Vorlieben und des Zustandes ein anregendes oder beruhigendes ätherisches Öl beifügen.

Mit ätherischen Ölen kann ich Pilze im Intimbereich prophylaktisch behandeln. Sehr beliebt sind Einreibungen und Massagen. Sie bieten sich auch für Angehörige an.

Man kann anregende oder entspannende Öle verwenden oder gezielt auf Schmerzen oder Muskelverspannungen eingehen. Idealerweise arbeitet man mit Düften, die der Bewohner schon kennt.

Behandeln Sie auch Menschen mit Demenz?

Nicht mehr. Neben den UPK gibt es das neue Marthastift, ein spezialisiertes Pflegezentrum für Demenz, dort schule ich die Pflegenden.

Was vermitteln Sie in diesen Schulungen?

Jeder Mensch hat ein Duftgedächtnis, deshalb geben Düfte Raum für Erinnerungen. Wenn der Duft mit einer guten Erinnerung verbunden ist, stellt sich ein wohliges Gefühl ein. Wir wählen die Dürfte aufgrund der Biografie aus.

Wir können ein therapeutisches Parfüm herstellen. Oder wir geben den Bewohnern ein aromatisiertes Tüchlein, das sie bei sich haben können. Oft werden auch kühlende oder wärmende Kompressen gemacht.

Eine Demenz kann Begleitstörungen auslösen. Menschen mit Demenz können zum Beispiel aggressiv werden.

Aggressives Verhalten kann viele Gründe haben. Auf jeden Fall haben die Betroffenen eine höhere Spannung und eine Verunsicherung. Raumbeduftungen, Einreibungen oder Fussbäder mit Melisse, Orange süss oder Lavendel können hier eine positive Wirkung haben.

Aromatherapie kann auch mit Waschungen kombiniert werden.Dominique Meienberg

Der Lavendel kommt immer wieder

Er ist einer der wichtigsten Düfte. Aber er hat ein Problem.

Welches?

Er gefällt nicht allen Pflegenden. Aus meiner Erfahrung mögen alle alten Menschen Lavendel. Es gibt aber eine Generation, die Mühe hat. Wenn ein Duft den Pflegenden nicht gefällt, kann ich ihn nicht anwenden. Das Personal soll sich auch wohl fühlen.

Haben die Jungen ein Problem mit Lavendel?

Es sind vor alle jene Pflegenden, die nicht mehr so jung sind. Viele von ihnen haben den Lavendel schlecht abgespeichert, weil es bei der Grossmutter immer danach geduftet hat oder weil sie einfach zu viel davon abbekommen haben.

Wenn beklemmende und anstrengende Situationen mit dem Duft verbunden sind, löst er negative Gefühle aus. Wenn ich mit Lavendel auf eine Abteilung der Psychiatrie komme, findet ihn die Hälfte des Personals super. Die andere Hälfte will nichts mit ihm zu tun haben.

Ätherische Öle wirken in kleinsten Dosen.PD

Welche Anwendungen gibt es, wenn Menschen mit Demenz apathisch, müde oder deprimiert sind?

Sie brauchen stimmungsaufhellende und anregende Düfte, die auch die Gehirnleistung stärken können. Dies trifft zum Beispiel auf Rosmarin und Melisse zu. Melisse ist zwar beruhigend, macht aber den Kopf wach.

Zitrone oder Grapefruit haben eine ähnliche Wirkung. Auch hier kann ich mit Waschungen, Einreibungen, persönlichen Düften oder Raumbeduftung arbeiten.

Rastlosigkeit kann bei Demenz ein Thema sein.

Benzoe Siam ist einhüllend. Es vermittelt Wärme und Geborgenheit. Es hilft bei Ängsten und Anspannung. Auch Melisse oder römische Kamille können helfen. Ich persönlich bin ein grosser Fan von Orange süss. Sie ist stimmungsaufhellend, hat eine aufheiternde Botschaft und beruhigt. Darauf sprechen die Leute fast immer gut an.

Gibt es auch Düfte gegen Desorientierung?

Ich kenne kein ätherisches Öl, das explizit diese Wirkung hat. Aber man kann die Orientierung konditionieren. Ich kann zum Beispiel dafür sorgen, dass es zu bestimmten Tageszeiten immer gleich duftet. Zum Beispiel, indem ich koche.

Oder am Morgen Kaffee mache

Genau. Solche Düfte haben die orientierende Botschaft: Es ist Morgen, der Tag beginnt! Wenn am Mittag gekocht wird, ist dies auch ein zeitlicher Orientierungsanker. Man kann es auch mit Orten machen: Dass es zum Beispiel im Zimmer eines Bewohners immer gleicht duftet.

Man sollte aber nicht alle Räume verschieden beduften, weil dies zu Überforderung führen würde. Baumdüfte können auch helfen. Wenn man im Wald steht, weiss man vor lauter Bäumen nicht mehr, wo es durchgeht. Aber es vermittelt Ruhe und gibt Halt.

Damit sind wir bei holzigen Düften wie Zeder, Sandelholz und so weiter.

Mir gefällt Atlaszeder sehr. Aber es ist kein Duft, den wir hier kennen, weil es kein heimischer Baum ist. Zirbelkiefer hingegen kennen jene Menschen, die in den Bergen gewandert sind. Auch wenn Menschen mit Demenz dies nicht mehr benennen können, hilft es ihnen.

Was raten Sie Angehörigen, die zu Hause Aromatherapie und -pflege anwenden möchten?

Es gibt mittlerweile viel Literatur, die fundiertes Wissen vermittelt. Sie können auch Kurse besuchen. Wichtig ist, dass sie herausfinden können, welche ätherischen Öle und Anwendungen für beide Seiten eine wohltuende Wirkung haben.

Welche Fehler kommen bei Laien oft vor?

Viele gehen nach dem Motto «nützt es nicht, so schadet es nicht» vor und wenden zu viele Düfte in zu hohen Dosen an. Bei Anwendungen auf der Haut ist es sehr wichtig, dass die ätherischen Öle stark verdünnt werden.

Oft sehe ich, dass die ätherischen Öle zu Hause auf dem Fenstersims oder im Badezimmer gelagert werden. Bei zu viel Wärme und Licht verderben die Öle sehr schnell. Dies kann zum Beispiel zu Hautirritationen führen. Ätherische Öle müssen kühl und vor Licht geschützt gelagert werden.

Was halten Sie von synthetischen Aromen und Düften?

Ein natürliches ätherisches Öl besteht aus sehr vielen Inhalts- und Wirkstoffen. Synthetische Aromen bestehen fast ausschliesslich aus dem Stoff, der für den Duft verantwortlich ist und haben deshalb keine therapeutische Wirkung.

Also verzichten wir besser auf Orangen- oder Vanille-Shampoo aus dem Supermarkt.

Ja. Es gibt aber Anbieter, die Kosmetika mit natürlichen ätherischen Ölen verkaufen.

Zirbelkiefer (Arve) gibt Halt.PD

Wie sind Sie persönlich auf die Aromatherapie und -pflege aufmerksam geworden?

Als Jugendliche bekam ich von meiner Mutter ein Duftlämpchen, ätherische Öle und ein Buch geschenkt. Ich verwendete fast immer den gleichen Duft, interessierte mich aber nicht gross dafür.

Welcher Duft war es?

Ylang Ylang. Später las ich in dem Buch nach und war überwältigt, wie sehr dieser Duft meinem Wesen und meiner damaligen Situation entsprach. Ich interessierte mich mehr und mehr dafür und absolvierte Ausbildungen.

1996 habe ich Aromapflege an der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) eingeführt und aufgebaut. Seit 1999 biete ich klinikintern und extern Schulungen an. Mittlerweile wird die Aromapflege in allen Bereichen der UPK angeboten.

Die Aromatherapie und -pflege hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Ist ihr Potenzial mittlerweile ausgeschöpft?

Nein, noch lange nicht. Es gibt noch sehr viele Anwendungsbereiche, Orte und Institutionen, an denen sie zu wenig oder gar nicht eingesetzt wird.

Welche Strategie sollen Ihre Kolleginnen anwenden, wenn Sie in den Institutionen auf Widerstände stossen?

Sie sollen unbedingt eine Fachweiterbildung besuchen. Es gibt verschiedene Schulen, wie zum Beispiel FarfallaSela oder SfA, Sie sollen sich mit Gleichgesinnten vernetzen, zum Beispiel mit der Vereinigung PsychAromaEin Zweitageskurs reicht nicht aus, um Aromapflege in einer Institution zu implementieren.

Zur Person

Regula Rudolf von Rohr ist Pflegefachfrau, Aromatherapeutin und Heilpflanzenfachfrau. Sie arbeitet als Aromatherapeutin und Fachverantwortliche für Aromapflege in den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel. Zudem ist sie als Beraterin und Kursleiterin in verschiedenen Institutionen tätig – unter anderem beim führenden Schweizer Aroma- und Naturkosmetikhersteller Farfalla. Regula Rudolf von Rohr ist Präsidentin von Psycharoma CH, der Fachgruppe für ätherische Öle in der Psychiatrie und Autorin des Buches «Riechen und Fühlen».