Die bewusste Zeit im Wald bringt mehr als ein gutes Gefühl – sie beeinflusst unsere Gesundheit.
Bild Martin Mühlegg
Wer es ernst meint mit der Erholung, geht heute nicht mehr nur auf einen Spaziergang in den Wald. Das Waldbaden ist ein sehr sinnliches und wohltuendes Erlebnis – auch für Menschen mit Demenz.
Zwar haben die Badeanstalt ihre Pforten geschlossen, trotzdem ist Badesaison: Die japanische Achtsamkeitspraxis Shinrin-Yoku, zu deutsch Waldbaden, führt uns jetzt zum Baden in den Wald. Ich habe es ausprobiert – angeleitet von Lara Keuthen, einer zertifizierten Waldbaden-Leiterin. Ich kann nicht leugnen, dass ich von einer leichten Skepsis voreingenommen war. Wie sollte mir eine geführte Gruppenveranstaltung zu mehr innerem Frieden verhelfen als ein Waldspaziergang, allein oder in ausgesuchter Begleitung?
Die Kunst des Schlenderns
Als ich Lara Keuthen in den Wald hinterhertrotte, lenkt sich der Fokus zum ersten Mal bewusst darauf, wie Schritt für Schritt alles um mich herum dichter wird, sich Verbuschungen am Wegrand langsam mit Bäumen vermischen, sich der Himmel langsam hinter einem Blätterdach verschliesst, bis man schliesslich mitten im Wald steht. Anhalten, innehalten. Statt mich im Eilschritt weiterpreschen zu lassen, wie ich es normalerweise tue, lädt Keuthen ihre Waldbadetruppe ein, für ein paar Momente stillzustehen und die Augen zu schliessen. Welch Wohltat!
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Wenn ich auf einen Spaziergang oder zu einer Wanderung aufbreche, bin ich mir dessen bewusst, dass der Weg durch den Wald führen wird, jedoch nicht um des Waldes willen. Es sind eher Dinge wie die heisse Schokolade danach, die Sehnsucht, mich besser zu fühlen, die Suche nach einem guten Gespräch, den Kopf freizubekommen, weg von der Stadt.
Bei der Ankündigung, dass wir uns in der nächsten Stunde kaum mehr als zwei Kilometer fortbewegen werden, steigt Unruhe in mir hoch. Wo ich sonst darauf bedacht bin, dynamischen Schrittes möglichst weit vorwärts zu gelangen, komme ich mir bei der Vorstellung allein völlig ausgebremst vor. Keuthen erläutert: «Beim Waldbaden schlendern wir. Dabei nehmen wir den Wald viel intensiver wahr als beim Spaziergang.» Soso, na dann.
Wie im Kindergarten
Keine Viertelstunde später muss ich bereits über meine Bedenken schmunzeln. Als Letzte finde ich mich beim nächsten Treffpunkt ein – so sehr vertieft war ich in die Übung, bei der wir mit einer Farbkarte in der Hand durch den Wald gehen und dabei Naturschätze sammeln, die dieser Farbe entsprechen. Es klingt banal: Stundenlang hätte ich so weitermachen und auf der Suche nach «schlammgrauen» Elementen in die schiere Unendlichkeit von Farbtönen abtauchen können, die der Wald hergibt.
Quelle: Waldbaden Institut Schweiz/YouTube
Zusammen mit Lara Keuthen ersehen, erfühlen, erhören wir den Wald in der nächsten Stunde auf verschiedene Weise; spielerisch, wie Kinder fast. Wir legen auf unserem Arm ein Waldtattoo aus, wir spitzen die Ohren und lauschen ganz bewusst, was wir alles wahrnehmen können, gehen auf Tuchfühlung mit den Bäumen. Als ich einer Freundin später von dem Erlebnis berichte, sagt sie: «Ach, das haben wir im Kindergarten auch immer gemacht.»
Ursprung des Waldbadens
Solche Kindheitserinnerungen, die viele an den Wald haben, tragen sicher dazu bei, dass wir uns dort meistens wohl und geborgen fühlen. Dass die bewusste Zeit im Wald jedoch weit über ein gutes Gefühl hinaus auch unsere Gesundheit beeinflussen kann, wird in Japan seit den 1980er Jahren erforscht. «Dort halten Ärzte mittlerweile wöchentliche Sprechstunden im Wald ab, und Waldbaden wird als Therapieform per Rezept verschrieben», erzählt Lara Keuthen.
Manche durchwandern die Wälder in forschem Tempo. Ihre wahre Schönheit erschliesst sich einem in der Langsamkeit.Bild Martin Mühlegg
Als Koryphäe des Waldbadens gilt Prof. Dr. Qing Li, der das durch ihn Shinrin-Yoku benannte Phänomen an der Nippon Medical School in Tokio erforscht. Nachweislich hat es verschiedene positive Effekte auf die Gesundheit wie Blutdrucksenkung, einen tieferen Ruhepuls, Steigerung der Immunabwehr durch die Produktion und Aktivierung der natürlichen körpereigenen Killerzellen, die Erhöhung von Anti-Krebs-Proteinen, Stressreduktion und die Steigerung des Wohlbefindens.
Das Einatmen von Terpenen, den Botenstoffen, die Bäume zur gegenseitigen Kommunikation verströmen, habe einen besonders positiven Effekt.
Wissenschaftlich belegt sind diese Erkenntnisse für die japanischen Wälder und die dortige Baumkultur; eine Gültigkeit der Resultate für den europäischen Raum ist bisher nicht nachgewiesen. Zwar erwähnt Keuthen beim Waldbaden diese gesundheitlichen Nebeneffekte der Achtsamkeitspraxis – ihr Angebot ist jedoch nicht therapeutisch. Es geht ihr hauptsächlich darum, dass wir durch die Achtsamkeitspraxis zurück zur Natur finden und spüren, wie uns der Wald Kraft schenkt, und wir unsere Sinne neu erleben.
Frei in der Brust und dreckig unter den Fingernägeln
Beseelt stehe ich in der Abschlussrunde meines ersten Waldbades. Fester Stand, klarer Blick, frei in der Brust und Dreck unter den Fingernägeln. Ich habe einen Baum umarmt, Blätter gestreichelt, mit den Baumkronen geredet und aus Waldobjekten ein Herz auf dem Waldboden gelegt. Wenn ich daran zurückdenke, kann ich nicht anders, als zu grinsen. Weil das in meinen Ohren so unfassbar esoterisch klingt. Und weil ich es am liebsten gleich wieder tun möchte.
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Den Wald in seiner ganzen Dimension erleben. Innehalten, in die durch die Baumkronen blitzende Sonne blinzeln und sich vorstellen, wie sich die Lungen mit Terpenen, den Botenstoffen von Bäumen, füllen.
Den Sehsinn schärfen, indem man eine Farbkarte zieht und damit durch den Wald schlendert. Egal mit welcher Farbe im Fokus, man wird sie in der Natur wiederfinden.
So macht man ein Waldtattoo: Eine fetthaltige Creme auf die Haut auftragen und dann der Kreativität freien Lauf lassen. Man staunt, was man auf dem kleinsten Stück Waldboden für Schätze ausmacht, z.B. aufgeknackte Eicheln, Bucheckern, Tannennadeln, Blätter und eine kleine Blüte. Die legt man zum beispiel auf den eingefetteten Unterarrm. Nach ausgiebiger Betrachtung des Waldtattoos findet man ein schönes Plätzchen auf, wo das Waldtattoo dem Boden zurückgegeben wird.
Beim nächsten Waldspaziergang einfach mal ein paar Schritte vom Weg abkommen und einen Baum zum Umarmen finden – ein erdendes Erlebnis.
Zum Abschluss des Waldbades gemeinsam ein Herz aus Fundstücken aus dem Wald für den Wald legen ist ein wenig kitschig und tut dabei sehr gut.
WALDBADEN-AKADEMIE, ZÜRICH
Nadine Gäschlin bietet in und um Zürich Waldbaden an, beispielsweise im Dolderwald, in Wädenswil, oder über Mittag in Zürich Enge. www.waldbaden-akademie.ch
MIMAMEID WALDBADEN, HAMBURG Lara Keuthen bietet Waldbaden im Umland von Hamburg an. Man kann sie auch für andere Orte buchen, wo es einen Wald oder einen Park mit Bäumen gibt. www.mimameid-waldbaden.de
Dieser Artikel erschien 2019 auf dem Portal Bellevue der Neuen Zürcher Zeitung. Wir bedanken uns bei der Autorin Anna Kaminsky und der Redaktion für die Genehmigung zur Zweitverwertung.
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