Wie viel Zeit hat Ihr Arzt für Sie? - demenzjournal.com

Ärzte in Zeitnot

Wie viel Zeit hat Ihr Arzt für Sie?

In Schweden reden die Ärzte fast dreimal so viel mit ihren Patienten als in Deutschland. Age Barros, unsplash

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gehen Deutsche öfter zum Arzt, sprechen aber weniger lang mit ihm. Ärztinnen gehen mehr auf ihre Patienten ein als ihre männlichen Kollegen.

Von Mut Magazin

Gespräche zwischen Arzt und Patient bilden die Grundlage jeder erfolgreichen Therapie. Aber im Durchschnitt dauert ein Gespräch nur etwa 7,6 Minuten, wobei der Arzt den Patienten in der Regel nach 18 Sekunden das erste Mal unterbricht. («ZFA», das offizielle Organ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin)

Die durchschnittliche Gesprächszeit zwischen Arzt und Patient beträgt in Schweden 22,5 Minuten, in den USA 20 Minuten, in Grossbritannien neun Minuten. In China werden Patienten in knapp fünf Minuten abgefertigt, in Bangladesch schon nach 48 Sekunden. (Fachjournal «BMJ Open») 

Dafür gehen Deutsche häufiger zum Arzt: zehnmal im Jahr. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 6,6 Besuchen. Schwedische Patienten konsultieren nur 2,7-mal im Jahr einen Arzt. OECD ist die «Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung» mit 34 Mitgliedsstaaten, zumeist westliche Industrieländer. 

Worte sind heilsam 

Wie eine Untersuchung der Universität Cambridge zeigt, führt mangelnder Austausch mitunter dazu, dass mehrere Medikamente verschrieben werden, die sich unter Umständen nicht vertragen. Generell gilt: Je besser ein Arzt eine Behandlung erläutert und mit positiven Erwartungen unterlegt, desto effektiver wirkt die Therapie und je eher wird der Patient gesund, so hat es Medizindidaktiker und Linguist Tim Peters von der Uni Bielefeld nachgewiesen. 

Ein paar Tipps für Arzttermine 

Schreiben Sie zuhause auf, was Sie wissen wollen und was Ihr Arzt von Ihnen wissen sollte. Das hilft, den roten Faden nicht zu verlieren, und der Arzt kann sich schneller ein Bild machen. 

  • Unter welchen Symptomen leiden Sie? 
  • Wie lange schon?
  • Wann treten sie besonders unangenehm auf? 
  • Nehmen Sie bereits Medikamente dagegen? 
  • Leiden Sie an Allergien? 

Wie eine Forsa-Umfrage ergab, versteht jeder dritte Patient nicht richtig, was der Arzt sagt. Bitten Sie darum, genau zu erklären, welche Diagnose Ihr Arzt stellt. Was habe ich? Was soll ich tun? Und haken Sie ein, wenn Sie etwas nicht verstehen. 

Infos aus dem Internet

Studien haben ergeben, dass 90 Prozent aller Patienten, die einen Computer haben, versuchen, sich über ihre Beschwerden im Internet schlau zu machen. Das kann hilfreich sein, sollte Sie aber nicht hindern, einen Arzt Ihres Vertrauens zu konsultieren. Denn Selbstdiagnosen sind riskant, weil sich viele Aspekte ohne medizinische Kenntnisse nicht richtig einordnen lassen.

Wer Fragen vage formuliert, erhält oft falsche Antworten. Ausserdem trennen Suchmaschinen nicht die Spreu vom Weizen. Das wird von Anbietern ausgenutzt, die wissen, wie sie im Ranking der Angebote auf ersten Plätzen landen.

Die Medizin wird weiblicher 

Schon heute praktizieren mehr Frauen als Männer in diesem Beruf, mit steigender Tendenz. Ärztinnen fragen genauer als ihre männlichen Kollegen nach Krankengeschichten, gehen ausführlicher auf Ängste ein, erklären ausführlicher die Diagnose und das weitere Vorgehen. Das besagt eine Studie des Uniklinikums Basel. 

Klinikärzte wünschen sich mehr Zeit 

Aus einer aktuellen Mitgliederbefragung des Marburger Bundes geht hervor: Klinikärzte beklagen fehlende Wertschätzung ihrer Arbeit, kaum Zeit für Gespräche mit Patienten, steigende Belastung, unzureichende Personalausstattung und Dokumentationswahn. Der Zeitaufwand für Datenerfassung und Dokumentation liege im Schnitt bei drei Stunden pro Tag.

«Wenn nur die Hälfte an Zeit für unsinnige Schreibarbeit eingespart werden könnte, hätten wir schon viel für die Patientenversorgung gewonnen», sagt Dr. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes. Jeder vierte angestellte Arzt verzweifelt an seinen Arbeitsbedingungen und denkt über einen Berufswechsel nach.

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14,09 Euro fürs Gespräch 

Der sogenannte einheitliche Bewertungsmassstab EBM listet auf 1.800 Seiten auf, wie ärztliche Leistungen definiert und abgerechnet werden. Ausgehandelt wird er von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen. Hausärzte können für ein Gespräch mit Patienten nur 14,09 Euro berechnen. Deshalb drücken viele aufs Tempo, wenn ihr Wartezimmer voll ist. 

Kommunikation in der Ausbildung 

Der Beruf des Arztes erfordert neben fundierten medizinischen Kenntnissen Fingerspitzengefühl und ein offenes Ohr für die Probleme und Belange des Patienten und seiner Angehörigen. Kommunikation gehört inzwischen an so gut wie allen medizinischen Fakultäten in Deutschland zum Pflichtfach des Studiums. Wer sie in der Ausbildung erlernt, kann sie später auch in der Praxis eher anwenden.   


Dieser Artikel erschien im Herbst 2022 im Mut – Magazin für Lösungen. Wir bedanken uns bei der Redaktion für die Gelegenheit zur Zweitverwertung.