Doch von klarer Ursache und klarem Nachweis kann keine Rede sein. »Wir wissen seit Langem, dass die Menge der Amyloid-Plaques im Gehirn kaum mit dem Krankheitsbild oder der geistigen Leistung korreliert«, sagt Christian Behl, Direktor des Instituts für Pathobiochemie der Universität Mainz. Das spiegelt sich auch in der Leitlinie wider, die die internationale Definition zitiert: Die Alzheimer-Krankheit ist demnach eine Krankheit »mit unbekannter Ätiologie«, also mit unbekannter Ursache.
Zwei Mediziner, die als Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) an der Überarbeitung der Leitlinie beteiligt waren, haben sich denn auch gegen die von DGPPN und DGN gewünschten Diagnose-Empfehlungen gestellt und ihre Ablehnung in einem Sondervotum zum Ausdruck gebracht. Horst Christian Vollmar, Professor für Allgemeinmedizin an der Ruhr-Universität Bochum, und sein Kollege Thomas Lichte, Emeritus an der Universität Magdeburg, konstatieren darin: Die Diagnose einer Alzheimer-Krankheit könne nicht bereits beim Vorliegen einer leichten kognitiven Störung gestellt werden. Wenn die international gültigen Diagnosekriterien nicht erfüllt sind, liege auch noch keine Alzheimer-Krankheit vor.
Höhere Gewinne für die Pharma
Vollmar und Lichte gehen mit ihrer Kritik sogar noch weiter. »Das jetzige Wording bedeutet eine Ausweitung des Krankheitsbegriffs und stellt somit unseres Erachtens ein ‚Disease Mongering‘ dar.« Darunter versteht man eine gängige Vermarktungsstrategie, die von Arzneimittelherstellern ausgeht, aber nur mit tatkräftiger Unterstützung einflussreicher Mediziner:innen möglich ist: Mit einer geschickten Veränderung von offiziellen Grenzwerten oder Krankheitsdefinitionen dehnt man die Grenzen dessen aus, was von Ärzt:innen und in der Öffentlichkeit als behandlungsbedürftige oder behandelbare Krankheit wahrgenommen wird. So lässt sich der Kreis derjenigen, die das jeweilige Medikament verordnet bekommen sollen, deutlich vergrößern – und der Gewinn des Herstellers maximieren.