Epilepsie im Alter: der stille Krampf - demenzjournal.com
chatbot

Epileptische Anfälle

Epilepsie im Alter: der stille Krampf

Ein epileptischer Anfall entsteht – vereinfacht gesagt –, wenn Nervenzellen im Gehirn ungezielt «losfeuern» und nicht durch bremsende Botenstoffe daran gehindert werden. Man kann es sich wie ein «Gewitter im Hirn» vorstellen. PD

Epilepsie kann auch im Alter auftreten. Selbst Ärzte erkennen das nicht immer, weil sich die Anfälle kaum bemerkbar machen. Ursache dafür ist immer eine Krankheit, die gewisse Regionen im Hirn beschädigt hat. Dazu zählen neben Schlaganfällen und Unfallfolgen auch Demenzen.

Weit aufgerissen sind Mund und Augen der jungen Frau, ihr Körper ist bis in die Zehenspitzen gestreckt, die Fäuste geballt, ihr ganzer Körper zuckt, sie stösst kurze Schreie aus und aus ihrem Mund kommt Schaum. Man braucht kein Arzt zu sein, um richtig zu vermuten: Das ist ein epileptischer Anfall. Bei älteren Menschen hingegen spielt es sich eher so ab: Eine ältere Dame starrt geistesabwesend in die Luft und hört plötzlich auf zu reden. Kurz darauf scheint sie wieder normal.

Bei Epilepsie im Alter gibt eine hohe Dunkelziffer

«Epilepsie ist nicht nur eine typische Kinder- und Jugendkrankheit», sagt Stephan Rüegg, Präsident der Schweizerischen Epilepsie-Liga und Neurologe am Universitätsspital in Basel. «Auch viele ältere Leute erkranken daran – bloss wissen das Laien und leider auch einige Ärzte nicht.»

Rüegg diagnostiziert pro Woche bei einem bis zwei Senioren eine Epilepsie. «Warum soll ausgerechnet ich Epilepsie haben? Ich hatte doch noch nie so etwas!», würden ihn die Betroffenen jeweils ungläubig fragen. 90 von 100’000 Menschen zwischen 65 und 70 Jahren haben eine Epilepsie, bei den über 80-Jährigen sind es mehr als 150. Die Dunkelziffer sei viel höher, vermutet Rüegg.

So reagieren Sie richtig bei einem epileptischen Anfall:

Quelle YouTube

«Im Alter macht sich Epilepsie oft nicht als klassischer Krampfanfall bemerkbar und wird daher nicht erkannt.» Ein epileptischer Anfall entsteht – vereinfacht gesagt –, wenn Nervenzellen im Gehirn ungezielt «losfeuern» und nicht durch bremsende Botenstoffe daran gehindert werden. Man kann es sich wie ein «Gewitter im Hirn» vorstellen.

«Bei jüngeren Menschen finden wir oft keine Erklärung dafür», sagt Rüegg. Bei einigen sei die Neigung zur Epilepsie vererbt, oder ihr Gehirn sei vor oder bei der Geburt geschädigt worden. Anders bei älteren Menschen: Bei ihnen entsteht die Epilepsie eigentlich immer, weil Hirnbereiche durch Krankheiten geschädigt sind – etwa durch einen Schlaganfall, eine Blutung, einen Tumor, eine Narbe nach einem Unfall oder wegen einer Demenz.

Stürze ohne erkennbaren Grund

Bei weniger als der Hälfte der Senioren äussert sich die Epilepsie in Form eines generalisierten Anfalls mit Zuckungen am ganzen Körper, Schreien und Schaum vor dem Mund. «Das ist durch die Schilderung von Angehörigen meist einfach zu diagnostizieren», sagt Rüegg.

Schwierig werde es aber in den übrigen Fällen, weil die Epilepsie hier «stille Symptome» mache. Der Betroffene hält zum Beispiel nur kurz inne und spricht nicht mehr, wirkt abwesend oder verwirrt. «Das wird oft als normale ‹Aussetzerchen› im Alter interpretiert, als Durchblutungsstörung im Hirn oder eine beginnende Demenz», sagt Rüegg.

Auch zu Stürzen ohne erkennbaren Grund kann es in Verbindung mit solchen stillen Anfällen kommen. Der Patient kann sich nicht daran erinnern, gestolpert zu sein, und der Arzt findet weder eine Herzkrankheit noch eine Zuckerkrankheit, welche die plötzliche Bewusstlosigkeit mit der Folge eines Sturzes erklären könnten. In solchen Fällen lohne es sich, ein Elektroenzephalogramm zu machen, sagt Rüegg.

Die «stillen Symptome» seien aber nicht der einzige Grund, warum die Krankheit bei älteren Menschen oft übersehen werde, sagt Niklaus Krayenbühl, Neurochirurg und Epilepsie-Experte am Universitätsspital Zürich.

«Böse gesagt: Hat ein junger Mensch am Arbeitsplatz einen Anfall, erzeugt das mehr Aufmerksamkeit als bei einem alten Herrn im Altersheim.»

Epilepsie im Alter werde zu wenig beachtet, findet auch Hajo Hamer, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie. «Auch wenn die Symptome nicht so eindrucksvoll scheinen, können sie die Lebensqualität ziemlich einschränken.» Man braucht sich bloss die Seniorin vorzustellen, die als «dement» abgestempelt wird, weil sie ab und zu etwas verwirrt ist, oder den alten Herrn, der stürzt und sich den Schenkelhals bricht.

Eine ethische Perspektive

Was ist eine Demenz?

Medizinische Strategien beherrschen das Feld, wenn es um Fragen nach dem Wesen der Demenz geht. Dadurch gerieten zahlreiche Aspekte der Demenz und die … weiterlesen

Ältere profitieren von Epilepsie-Medikamenten

Heilen lässt sich die Epilepsie zwar nicht, aber Medikamente können Anfällen vorbeugen. Ältere scheinen dabei mehr von der Therapie zu profitieren als Jüngere: Während von den Patienten aller Altersgruppen 65 Prozent auf Medikamente ansprechen, sind es von den über 65-Jährigen 80 bis 90 Prozent.

«Man muss die Präparate aber anpassen, weil der Stoffwechsel älterer Menschen langsamer arbeitet und der Betroffene oft noch andere Krankheiten hat oder andere Medikamente einnimmt», sagt Hamer.

Im Idealfall sollte nur ein Präparat in geringer Dosis verschrieben werden, welches wenig mit anderen Arzneien interagiere. Und wenn es doch einmal zu einem grossen Krampfanfall kommt: «Warten, bis er vorbei ist, danach in die stabile Seitenlage bringen und Atmung und Puls prüfen», sagt Hamer. «Und bitte keine Gegenstände in den Mund schieben.»

Stigmatisierung

Demenz ist eine Frage der Perspektive

Demenz ist mehr als eine Erkrankung. Ihre psychosozialen Auswirkungen benötigen unsere Aufmerksamkeit, damit wir Stigma, Tabu und Bagatellisierung abbauen können. Die unterstützte Selbsthilfe und … weiterlesen