(Tobias Hänni) Mit Schneebällen auf Pinguine zu schiessen, kann Schmerzen lindern. Was amüsant klingt, hat einen ernsten Hintergrund: die Behandlung von Verbrennungsopfern. Das Wechseln von Verbänden, das Reinigen der Wunden oder auch Bewegungsübungen sind für die Betroffenen äusserst schmerzhaft.
Die US-amerikanischen Psychologen Hunter Hoffman und David Patterson suchten deshalb in den 1990er-Jahren nach einer Lösung, um die Behandlung für die Patientinnen und Patienten erträglicher zu machen. Sie fanden sie in der Virtual Reality (VR), genauer gesagt im VR-Spiel «SnowWorld».
Während der Behandlung trägt der Patient eine VR-Brille, die ihn in eine Eiswelt eintauchen lässt, in der er mit Schneebällen auf Pinguine schiesst. Mit erstaunlichem Effekt: In einer 2011 veröffentlichten Studie zeigten die Wissenschaftler auf, dass der Einsatz von SnowWorld die während der Behandlung empfundenen Schmerzen um 35 bis 50 Prozent verringert.
Die Erklärung der Wissenschaftler: Die virtuelle Welt und das Spielen verlangen von den Patienten so viel Aufmerksamkeit, dass ihr Gehirn die Signale der Schmerzrezeptoren viel weniger stark wahrnimmt.
Spiele gewinnen an Bedeutung
SnowWorld ist nur eines von zahlreichen gesundheitsbezogenen Serious Games, die in den letzten Jahren entwickelt wurden und zur wachsenden Bedeutung des Spielens im Gesundheitswesen beitragen.
Die Spiele kommen in verschiedensten Bereichen des Gesundheitswesens zum Einsatz: In der Rehabilitation und Therapie, in der Gesundheitsförderung und Prävention, in der Patientenedukation oder auch in der Ausbildung von Health Professionals.
So gibt es zum Beispiel mit «Re-Mission» ein Videogame, das bei Kindern mit einer Krebserkrankung das Verständnis der Krankheit erhöhen und die Medikamenteneinnahme verbessern soll.
Das Smartphone-Spiel «Lit2quit» unterstützt Raucherinnen und Raucher dabei, vom Glimmstängel loszukommen. Und «Gabarello» wird – in Kombination mit einem Gangroboter – bei der Rehabilitation von Menschen eingesetzt, deren Gehfähigkeit aufgrund neurologischer Schäden eingeschränkt ist.
UNTERHALTSAM, ABER MIT ERNSTEM ZWECK
Serious Games, also ernste Spiele, dienen nicht der reinen Unterhaltung. Stattdessen verknüpfen sie das Spielerlebnis mit einem ernsthaften Ziel, im Bereich Gesundheit etwa mit der Förderung der psychischen Gesundheit, der Vermittlung von gesundheitsrelevanten Informationen oder der Rehabilitation nach einem Unfall oder einer Erkrankung.
Zu den Serious Games zählen unter anderem auch die sogenannten Exergames, also Bewegungsspiele. Diese kommen nicht nur in Praxen oder Reha-Zentren zum Einsatz, es gibt sie auch für den heimischen Gebrauch, beispielsweise auf der Spielkonsole Nintendo Wii.
Zu unterscheiden sind Serious Games vom Begriff Gamification. Während es sich bei Serious Games um vollwertige Spiele handelt, bezeichnet Gamification die Einbettung einzelner Spielmechanismen, etwa das Sammeln von Punkten oder Highscores, in spielfremde Anwendungen wie zum Beispiel in Gesundheits-Apps oder Lernprogramme.
Potenzial liegt in der Motivation
Die wachsende Relevanz von – vornehmlich digitalen – Spielen im Gesundheitswesen zeigt sich auch an den verschiedenen wissenschaftlichen Fachjournalen zum Thema, die seit ein paar Jahren erscheinen, darunter das «Games for Health Journal» oder das «International Journal for Serious Games».
Ausserdem haben sich grosse Konferenzreihen wie «Games for Health Europe» etabliert, an denen sich Hunderte von Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen, der Gamingbranche und aus weiteren Bereichen austauschen.
Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) nimmt bei der Entwicklung von Serious Games für das Gesundheitswesen und andere Einsatzbereiche im deutschsprachigen Raum eine Vorreiterrolle ein. Ulrich Götz, Leiter der Fachrichtung Game Design an der ZHdK, sagt:
«Das Potenzial von Serious Games für das Gesundheitswesen ist gross.»
Er hat selbst rund ein Dutzend gesundheitsbezogene Serious Games produziert und entwickelt derzeit mit dem ZHAW-Institut für Gesundheitswissenschaften auch ein Tablet-Game zur Förderung der Schreibmotorik bei Kindern.
Das Potenzial der Spiele sieht er vor allem in ihrer Qualität, die Motivation zu steigern. «Sie können die aktive Teilnahme, etwa an einer Therapie, erheblich fördern», sagt Götz. «Das entlastet die Therapeuten, da sie die Patienten weniger animieren müssen, die Übungen zu machen.»
Besonders geeignet seien die Spiele in der motorischen Rehabilitation. Bei dieser ist es für einen raschen Fortschritt wichtig, dass die Patienten die Übungen möglichst oft wiederholen. «Wenn ein Serious Game Spass macht und die Freude am Trainieren weckt, kommt sein motivierender Charakter voll zum Tragen», so Götz.