Wer sich auf die Suche nach einem Mittel gegen Vergesslichkeit, Konzentrationsschwäche und Wortfindungsstörungen macht, wird schnell fündig. Ob in Illustrierten, im Internet oder im Fernsehen – überall preisen unterschiedlichste Anbieter die heilsamen Wirkungen von Ginkgo biloba an.
Spezielle Extrakte aus den Blättern des asiatischen Fächerbaums seien gut verträglich und lange bewährt. Sie würden die Blutgefässe kräftigen, die Durchblutung fördern, die Lungen entspannen, die Sauerstoffzufuhr im Körper erhöhen und die Fähigkeit der Nervenzellen, sich untereinander zu vernetzen, verbessern.
«Dadurch können Sie sich wieder besser konzentrieren und erinnern», versichert eine Versandapotheke. Und nicht nur das.
Glaubt man den Verheissungen im Internet, hilft Ginkgo auch bei der Vorbeugung von Alzheimer und Demenz.
Derlei Versprechen fallen auf fruchtbaren Boden. Ginkgo-Präparate gehören zu den umsatzstärksten Arzneimitteln in Deutschland.
Ginkgo-Präparate
2019 wurden nach Angaben des Marktforschungsunternehmens IQVIA in deutschen Apotheken und im Apotheken-Versandhandel knapp 3,5 Millionen Packungen Ginkgo-Präparate für rund 243 Millionen Euro verkauft. Den Löwenanteil – 97 Prozent – zahlten die Kunden aus eigener Tasche. Hinzu kommt eine unüberschaubare Vielzahl von weiteren Ginkgo-Präparaten, die als Nahrungsergänzungsmittel deklariert und damit in Drogerien und im Internet frei erhältlich sind.
Seit 2012 bieten einige gesetzliche Krankenkassen in Deutschland die Kostenübernahme einiger nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an, wenn der Arzt das jeweilige Präparat auf einem sogenannten grünen Rezept verordnet. Hat der Arzt die Diagnose Demenz gestellt, werden die Kosten von Ginkgo-Präparaten aus der Apotheke mit einer Tagesdosis von 240 mg in jedem Fall erstattet.
Der anhaltende Run auf Ginkgo versetzt Wolfgang Becker-Brüser, Arzt und langjähriger Herausgeber der pharma-unabhängigen Fachzeitschrift Arznei-Telegramm, immer wieder in Staunen.
«Natürlich ist es verständlich, dass viele Senioren alles versuchen wollen, um ihre geistige Leistungsfähigkeit zu verbessern. Jeder, der merkt, dass er im Alter vergesslicher wird, hat ja gleich als Horrorvision Alzheimer im Hinterkopf. Und davor will man sich schützen.»
Dabei auf Ginkgo biloba zu setzen, so Becker-Brüser, sei definitiv der falsche Weg. Zum einen gebe es bis heute keinen einzigen glaubwürdigen Beleg dafür, dass Ginkgo biloba bei Demenz die geistige Leistung verbessert. Zum anderen zeige sich immer mehr, dass Extrakte der Pflanze keineswegs harmlos sind.
Seit längerem ist bekannt, dass es bei Einnahme von Ginkgo zu Kopfschmerzen, Schwindel, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen kommen kann.
Ursache dafür sind unter anderem die in den Produkten enthaltenen Ginkgolsäuren. Hohe Dosen davon seien potenziell zellschädigend und erbgutverändernd, warnen Experten der Verbraucherzentrale.
Ginkgo-Extrakte sind zudem in der Lage, bestimmte Stoffwechselenzyme und Proteine zu hemmen oder zu aktivieren. Das kann die Wirkung anderer Medikamente verändern.
Besonders hoch ist das Risiko für solche Wechselwirkungen bei Menschen, die unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden und deshalb Blutgerinnungshemmer wie Marcumar, Clopridogel, Aspirin (Acetylsalicylsäure) oder Blutdrucksenker wie Nifedipin nehmen, weil Ginkgo die Blutungsneigung erhöht. Sie sollten die Pflanzenextrakte nur in Absprache mit dem Arzt anwenden.
Wer operiert werden muss, sollte Ginkgo-Präparate rechtzeitig absetzen.
Auch Menschen mit Krampfleiden (Epilepsie) sollten Ginkgo-Präparate keinesfalls ohne Rücksprache mit dem Arzt verwenden, rät die Verbraucherzentrale.
Nun warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO vor einer weiteren Nebenwirkung: Herzrhythmusstörungen. Hintergrund sind mehr als 160 Verdachtsmeldungen, die der WHO bis September 2019 zu Ginkgo-Präparaten zugegangen sind.