»Ich sehe Demenz als neuen Aggregatzustand« - demenzjournal.com
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11. St. Galler Demenz-Kongress

»Ich sehe Demenz als neuen Aggregatzustand«

Mona Vetsch

»Ich glaube, dass man nicht um dieses Thema herumkommt, wenn man aufmerksam ist«, sagt Mona Vetsch. Bild SRF

Mona Vetsch hatte Angst vor Demenz – bis sie vor sechs Jahren im Rahmen der TV-Sendung »Mona mittendrin« das Demenz-Zentrum Sonnweid besuchte. Am 12. November moderiert sie in St. Gallen den größten und wichtigsten Demenz-Kongress der Schweiz.

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demenzworld: Was ging dir durch den Kopf, als die Anfrage des St. Galler Demenz-Kongresses kam?

Mona Vetsch: Im ersten Moment freute ich mich sehr. Seit ich für die Sendung »Mona mittendrin« im Demenz-Zentrum Sonnweid war, hat mich dieses Thema nie mehr losgelassen. Doch dann fragte ich mich: »Bin ich die Richtige? Kann ich das? Weiß ich genug über dieses Thema?«

Ich realisierte, dass die meisten Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen so sind wie ich. Es sind keine Fachleute, sondern Menschen wie du und ich – und auch sie müssen einen Zugang finden. Es braucht Mut, sich ohne Expertenwissen damit auseinanderzusetzen.

Hast du ausser dieser Sendung einen Bezug zu Demenz?

Nicht in meiner Familie, aber im Umfeld. Seit dieser Sendung erzählen mir viele Fremde ihre Geschichten. Ihnen fällt es offenbar leichter, mit mir über Demenz zu reden als mit Familienmitgliedern. Eine Frau setzte sich im Park neben mich und sagte, sie habe die Sendung gesehen. Sie erzählte von ihrem Mann und sagte: »Weißt du, ich kann meinem Kind nicht sagen, welche Gefühle ich meinem erkrankten Mann gegenüber empfinde. Er ist ja ihr Vater.« Sie brauchte jemandem, dem sie sagen konnte, wie schwer es für sie ist, mit einem ganz anderen Menschen zu leben als mit dem, in den sie sich verliebt hat. Sie muss auch jemandem sagen können, dass sie manchmal wütend ist.

11. St. Galler Demenzkongress

Wie können Pflegende und Angehörige besser mit schwierigen Situationen umgehen? Der St. Galler Demenzkongress zeigt am 12. November neue Wege auf – praxisnah und verständlich. Mona Vetsch führt durchs Programm, demenzworld begleitet die Veranstaltung als Medienpartner.

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Die Sendung aus dem Demenz-Zentrum hat sehr viele Reaktionen ausgelöst. Warum hat sie die Menschen so stark berührt?

Ich glaube, dass man nicht um dieses Thema herumkommt, wenn man ein wenig aufmerksam ist und Kontakt hat zu Menschen ab einem gewissen Alter. Die Zuschauer hat auch berührt, dass die Sendung Situationen zeigte, die Hoffnung machen. Es gab schöne und liebevolle Momente.

Es ist erfreulich, dass die Sendung solche Momente zeigte, denn die Krankheit ist noch immer stigmatisiert…

Auch ich hatte große Angst vor dem Thema. Ich glaube, die Angst ist dann am schlimmsten, wenn man meint, dass man nichts gegen die Krankheit und ihre Auswirkungen machen kann. Als ich in der Sonnweid war, merkte ich: Wir können sehr viel machen. Man kann zwar niemanden heilen, aber man kann für diese Menschen da sein. Man kann mit ihnen Beziehungen pflegen und spazieren. Man kann aber auch einfach nur ertragen, dass jemand gar nichts machen und nur auf dem Sofa sitzen will.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sagt: »Lieber tot als dement.« Hast du dazu etwas zu sagen?

Früher dachte ich ähnlich. Heute sehe ich Demenz als einen neuen Aggregatzustand eines Menschen. Es ist wie eine Rückbewegung in etwas anderes. Ich glaube, wir beurteilen das fälschlicherweise mit unseren Hirnen, mit dem Leben und den Fähigkeiten, die wir jetzt haben. Aber Altern ist für mich der Definition nach auch eine Veränderung der Bedürfnisse. Und ich glaube, es ist ein Fehler, von den Bedürfnissen eines gesunden und rüstigen Menschen darauf zu schliessen, was ein lebenswertes Leben im Alter ist.

Die Menschen haben auch Angst vor dem Verlust der Kontrolle und der Autonomie…

Auch ich habe Panik davor, was aus meinem Unterbewusstsein hochkommen könnte, wenn ich die Welt nicht mehr verstehe und mich nicht mehr kontrollieren kann. Ich habe dort ein großes Potenzial für viele Ängste. In der Sonnweid lernte ich aber: Wir sind nicht hilflos. Wir können für Betroffene da sein, auch in schwierigen Momenten.

Mona Vetsch in der Sonnweid
Mona Vetsch vor sechs Jahren im Demenz-Zentrum Sonnweid in Wetzikon.Bild PD

Um diese schwierigen Momente geht es am St. Galler Demenz-Kongress. Es geht um herausforderndes Verhalten, um Aggressionen, um Schreie…

Ja, diesen Teil gibt es auch. Gerade heute, auf dem Weg ins Fernsehstudio, sprach mich ein zirka 40-jähriger Mann an. Er pflegt in Zürich ältere Menschen, und er zeigte mir seine aufgeschürften Hände. Er sagte: »Das ist auch eine Realität meines Jobs. Es kommt zu Situationen, in denen ich angegriffen und verletzt werde. Menschen mit Demenz verändern ihre Persönlichkeit, und es ist manchmal schwierig, damit umzugehen.«

Was hat diese Begegnung mit dir gemacht?

Ich empfand es als krass, wie er mir seine Hände zeigte und sagte: »Hey, das ist auch ein Gesicht der Demenz.« Hier wird es kompliziert: Was darf oder muss man machen, um solche Menschen vor sich selbst zu schützen? Wie kann man die Pflegenden schützen? Was macht man mit seinen Aggressionen, die dann aufkommen? Man will helfen, und jemand verweigert sich oder greift an, jemand kommt in Panik. Ich bin sehr gespannt, welche Möglichkeiten uns die Fachleute in St. Gallen aufzeigen werden.

Ich selbst kann mir vorstellen, dass wir uns Zeit nehmen und ruhig bleiben müssen. Ich kenne das von meinen Kindern: Wenn ich selbst im Stress oder schlecht gelaunt bin, werden sie anstrengend. Wenn ich sie zum Beispiel in die Kita bringen muss, knapp dran und in Gedanken schon bei der Arbeit bin…

… dann möchten sie die Schuhe nicht anziehen und trödeln noch mehr als sonst …

Genau – und dann eskaliert es. Zeit und Ruhe zu haben, ist eine Grundvoraussetzung – und gleichzeitig eine der ganz großen Herausforderungen unseres Gesundheitssystems.

Von diesen Herausforderungen werden wir am 12. November in St. Gallen mehr erfahren. Besten Dank für dieses Gespräch!

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Knapp 1000 Teilnehmende und spannende Referate: der St. Galler Demenzkongress 2024.Bild FH Ost