Vieles deutet darauf hin, dass es zwischen Biogen und der FDA in diesem Verfahren eine ungewöhnlich enge «Zusammenarbeit» gab. Das könnte die Objektivität der Zulassungsbehörde, die eigentlich Patienten schützen soll, beeinträchtigt haben, analysierte der Epidemiologe G. Caleb Alexander vom Zentrum für Arzneimittelsicherheit der Johns Hopkins Universtität in Baltimore, Maryland im März 2021 in einem Beitrag für die Fachzeitschrift JAMA.
Eine massgebliche Rolle hat vermutlich auch die Alzheimer’s Association gespielt. Die einflussreiche Lobbyorganisation gibt sich gerne als Anwalt der Patienten und ihrer Angehörigen aus. Fraglich ist allerdings, wie unabhängig sie dabei von wirtschaftlichen Interessen ist.
Die Liste der Gönner der Alzheimer’s Association liest sich wie das Who’s Who der Pharmaindustrie.
Seit Jahren kassiert die Organisation Millionenbeträge von Arzneimittelherstellern. Zu ihren «Platin Sponsoren» gehören Biogen, Eisai, und Roche. Eli Lilly hat es immerhin in die Kategorie «Gold Sponsoren» geschafft. Und siehe da: Bis heute feiert die Alzheimer’s Association die Zulassung von Aduhelm als «historischen» Akt.
Anders dagegen die Gutachter, deren Votum die FDA ignorierte. Drei von ihnen traten direkt nach der Zulassung aus dem externen Gremium aus. Einer von ihnen ist der Medizinprofessor Aaron Kesselheim von der Harvard Medical School. Er gehört zu den Unterzeichnern des Appells, der jetzt einen Entzug der Zulassung von Aduhelm fordert.
Die Freigabe von Aducanumab für den Einsatz bei Patienten sei sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus klinischer Sicht «unhaltbar».
Wenn das Mittel nicht vom Markt genommen werde, komme es höchstwahrscheinlich zu einer massenhaften Übertherapie, die die Lebensqualität von Patienten nicht verbessern, sie aber unnötigen Schäden aussetzen werde.
Kesselheim und seinen Kollegen geht es um mehr als nur um Aduhelm. «Wir sind tief besorgt über die allgemeinen Fragen, die die Zulassung dieses Medikaments aufgeworfen hat», schreiben sie in ihrem Appell.
Es könne nicht sein, dass ein Arzneimittel allein auf der Basis zugelassen wird, dass sich auf MRT-Bildern vom Gehirn einiger Probanden irgendein Effekt auf Amyloid-Plaques gezeigt habe, während es keinen echten Nachweis dafür gebe, dass es dem Patienten durch die Behandlung dauerhaft besser geht. Damit spielen die Unterzeichner des Appells auf eine Reihe von anderen Medikamenten mit ähnlichem Wirkprinzip an.
Tatsächlich stehen bereits mehrere weitere Wirkstoffe, die gegen Alzheimer helfen sollen, in den Startlöchern.
Einer davon ist Donanemab vom US-Konzern Eli Lilly. Der zweite ist Lecanemab, hinter dem wie bei Aduhelm die Firmen Eisai und Biogen stehen. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat die FDA den Herstellern für beide Substanzen im Juni 2021 die Möglichkeit einer beschleunigten Zulassung als «breakthrough therapy» mit niedrigeren wissenschaftlichen Anforderungen eingeräumt. Im Oktober 2021 folgte der schon vergessen geglaubte Wirkstoff Ganterumab von Roche als dritter breakthrough-Kandidat.
Satire für Data-Nerds?
«Die Menschen in Amerika brauchen eine FDA, der sie vertrauen können, dass sie sich an die höchsten wissenschaftlichen Standards für Evidenz hält», fügt der Vorsitzende der Right Care Alliance hinzu. Als er die Begründung der Behörde für die Zulassung von Aduhelm gelesen habe, sei es ihm jedoch so vorgekommen, als befinde er sich in einer Satire-Sendung für Data-Nerds. «Ich hatte echte Probleme, zu glauben, dass so etwas möglich ist.»