FAQ 1: Was ist situative Desorientierung bei Demenz?
Situative Desorientierung bedeutet, dass Menschen soziale Regeln und Grenzen nicht mehr richtig einschätzen können. Nähe und Distanz verschwimmen, Impulse werden ungefiltert ausgelebt. Das Verhalten wirkt enthemmt oder peinlich, hat aber nichts mit Absicht zu tun – es ist Ausdruck der Krankheit, nicht des Charakters.
FAQ 2: Wie gehe ich mit enthemmtem Verhalten in der Öffentlichkeit um?
Bleib ruhig, schütze die Würde des Betroffenen und lenke liebevoll um. Zurechtweisungen machen die Situation meist schlimmer. Oft hilft ein freundlicher Satz, ein Ortswechsel oder Humor. Informiere Menschen im Umfeld über die Krankheit – wer versteht, reagiert gelassener. Und: Du musst dich nicht entschuldigen für etwas, das Krankheit ist.
FAQ 3: Wie kann ich meinen Angehörigen sicher begleiten?
Plane Aktivitäten so, dass sie überschaubar bleiben und genügend Pausen zulassen. Rituale geben Halt, klare Anleitungen Orientierung. In heiklen Situationen: Reize reduzieren, raus aus dem Stressmoment, Sicherheit vor Tempo. Hol dir unbedingt fachliche Unterstützung, wenn das Verhalten gefährlich wird oder dich überfordert. Niemand schafft das allein.
Heinz Schneider * (68) interessiert sich für Menschen und geht gerne auf sie zu. Neulich begegnete er im Supermarkt einer älteren Dame: »Grüss dich, wir kennen uns… Weißt du, mein Ball ist jetzt hohl, meine Töpfe sind kaputt.« Letzte Woche besuchte Heinz mit seiner Lilo ein Bergrestaurant und ging schnurstracks zum grossen Tisch, an dem sich die Skilehrer versammelt hatten. »Guten Tag, ich war auch mal Skilehrer – das ist supersuper, dass ihr jetzt alle – das ist supersuper!«
Die Skilehrer schauten ihn konfus an, und Heinz rang nach den Worten, die ihm wie so oft nicht mehr einfielen. Schliesslich brach er in schrilles Gelächter aus. Wenige Tage später sagte er im Bus einem Teenager, seiner Frau seien die Autoschlüssel in eine Höhle gefallen, deshalb fahre er jetzt mit der Seilbahn. Anschliessend stieg er aus und urinierte an der Station in einen Abfalleimer.
Lilo zieht ihn aus dem Verkehr
Lilo ist über 40 Jahre lang mit Heinz’ durchs Leben gegangen. Wir können uns vorstellen, wie sehr sie unter seinem Verhalten leidet. Aufgewühlt von Scham, Wut und Überforderung absolviert sie die schwierigen Situationen meist nach dem gleichen Muster: Sie geht dazwischen, manchmal stößt sie Heinz zur Seite und zischt »lass sie in Ruhe« oder »wir kennen diese Leute nicht, was fällt dir ein!«. Wenn sie Heinz aus dem Verkehr gezogen hat, erklärt sie, dass es ihr leidtue, aber man könne halt nichts machen, ihr Mann habe früher noch gewusst, was sich gehöre. Worte wie »Demenz« oder »Alzheimer« spricht sie in solchen Situationen nicht oder erst auf Nachfrage der anderen aus.
> Hier geht es zum E-Learning Enthemmung und situative Desorientierung
Man nennt Heinz’ Verhalten »situative Desorientierung«. Es ist verbunden mit einer starken Veränderung der Persönlichkeit. Lilo, die immer Wert auf Etikette und Anstand gelegt hat, schämt sich sehr für Heinz’ enthemmtes und in unseren Augen unangebrachtes Verhalten. Besonders starken Schmerz empfindet sie, wenn Heinz sie offenbar nicht mehr erkennt. Neulich sagte er zu ihr: »Du bist eine so gute Frau! Warum hast du eigentlich keinen Mann?«