Von Felicitas Witte

Schlafstörungen sind weit verbreitet. Drei von zehn Menschen in der Schweiz leiden darunter, bei den über 65-Jährigen sind es mehr als vier von zehn. Die Vererbung und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale – etwa wenn man perfektionistisch veranlagt ist, wenig Selbstwertgefühl hat oder sich alles rasch zu Herzen nimmt – erhöhen das Risiko.

Ausgelöst werden sie oft durch akuten psychischen Stress: Weil man im Job gemobbt wird, mit dem Chef nicht klarkommt oder sich der Partner von einem trennt. Ist der Stress abgeklungen, geht der Betroffene weiterhin mit der dunklen Vorahnung ins Bett, dass er wieder schlecht schlafen würde. Diese Vorahnung führt erneut zu einer Stressreaktion, welche den Schlaf stört. Ein Teufelskreis beginnt. Für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sind Schlafprobleme oftmals ein grosses Problem. Fast jeder dritte Mensch mit Demenz leidet darunter. Sie können auch während des Tages zu speziellen Verhaltensweisen oder Unruhe führen, was Angehörige und Pflegende belastet.

Jeder, der einen demenzkranken Angehörigen hat, kennt das Problem: Immer wieder grübelt man, wie die Krankheit voranschreiten wird, oder was man von Mutter, Vater oder Partner noch wissen möchte, bevor es zu spät ist. Hinzu kommen die «normalen» Sorgen und Probleme des Alltags. Oft lassen einen die Gedanken nachts nicht in Ruhe. Das Gedankenkarussell dreht sich, an Schlaf ist kaum zu denken.

Die Suche nach den Ursachen

«Der Leidensdruck ist gross – vor allem, weil viele Betroffene ihrem Arzt nichts davon erzählen oder dieser sich mit Schlafstörungen nicht auskennt», sagt Ulrich Voderholzer, ärztlicher Direktor der psychosomatischen Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. Es sei wichtig, sorgfältig nach der Ursache zu suchen. «Wir können die Schlafstörung zwar nicht beseitigen, aber dem Betroffenen helfen, dass er damit besser klarkommt.»

Der Arzt klärt erst einmal ab, ob eine andere Ursache als Stress dahinter steckt. Schilddrüsen-Überfunktion, Depressionen, Neurodermitis, Medikamente oder das Schlaf-Apnoe-Syndrom sind nur einige von vielen. Oft bessern sich die Schlafstörungen, wenn man diese Krankheiten behandelt. Ist man ansonsten gesund, empfehlen die Ärzte Schlafregeln: Keine schweren Mahlzeiten und nur mässig Alkohol am Abend, sich tagsüber ausreichend bewegen, persönliches Einschlafritual, und im Schlafzimmer für eine angenehme Atmosphäre sorgen.

In einem gemütlich eingerichteten Schlafzimmer schläft es sich besonders gut.PD

Profitieren kann man auch, wenn der Arzt einem die Grundlagen des Schlafs erklärt. So ist zum Beispiel die Schlafdauer individuell sehr unterschiedlich. Manche kommen mit weniger als sechs Stunden aus, andere brauchen acht, um sich wohlzufühlen. Man muss auch nicht unbedingt vor Mitternacht schlafen und es braucht auch nicht partout absolut leise und dunkel zu sein – jeder hat hier seine eigenen Gewohnheiten.

Gut belegt ist, dass kognitive Verhaltenstherapie helfen kann. Hier lernt man, was einen nicht schlafen lässt, wie man tagsüber seine Probleme löst, statt nachts darüber zu grübeln Und wie man dem Teufelskreis aus Grübeln, Nicht-schlafen-Können und erneutem Grübeln entkommen kann.

Cristiano Ronaldo brauchte einen Schlafcoach

Manche Menschen mit Schlafstörungen schaffen es nur mit Psychiater. Andere, wie der Fussballer Cristiano Ronaldo, nur mit einem Schlafcoach, der dritte nur in Schlafseminaren. Man kann aber auch selbst Schlaf-Techniken lernen.

Hans-Günter Weess, Leiter des Schlafzentrums am Pfalzklinikum Klingenmünster, schlägt gerne die mit dem Stuhl vor – nur eine von vielen. Die geht so: Kann man nicht schlafen, steht man auf und setzt sich auf einen «Grübel-Stuhl» in einem anderen Zimmer. «Hier darf man so viel man will nachgrübeln, bis die Gedanken an Dringlichkeit verlieren», sagt Weess.

Ein Grübelstuhl ausserhalb des Schlafzimmers kann negative Gefühle reduzieren.PD

Anschliessend soll man sich gedanklich mit etwas Schönem beschäftigten. Für den einen ist es ein Bergausflug, für den anderen ein Strandspaziergang, für den dritten das grandiose Fussballspiel des Lieblingsvereins. Eine andere Technik ist der «Grübelstopp»: Das Problem muss jetzt nicht sofort gelöst werden, man schreibt es auf einen Zettel und kümmert sich am nächsten Tag darum.

Handy und Tablet solle man am besten aus dem Schlafzimmer verbannen, rät Weess. «Es ist verführerisch, schnell Mails zu checken oder sich die Meeting-Unterlagen anzuschauen. Dies aktiviert den Sympathikus, und man wird wacher – aber eigentlich soll ja der Parasympathikus aktiv werden, damit wir uns entspannen.» Der «Blockbuster» sei die Bettzeit-Restriktion, erzählt Weess. Der Betroffene darf nur so lange ins Bett, wie lange er durchschnittlich schläft, also beispielsweise nur fünf Stunden. «Nach ein paar Tagen schläft jeder ein, weil der Körper sich den Schlaf holt. Die Erfahrung, eine Nacht gut geschlafen zu haben, stärkt das Selbstbewusstsein so, dass man auch die folgenden Nächte entspannter ins Bett geht.»

Alle paar Tage wird die Schlafenszeit um 15 bis 30 Minuten verlängert. Schlaf-Armbänder oder Apps sieht der Experte kritisch: «Die Messungen sind ziemlich fehlerhaft. Abgesehen davon fokussiert man sich damit auf den Schlaf und kann dann oftmals noch schlechter schlafen.»

Das Dilemma beginnt, wenn man Techniken lernt und seine psychischen Probleme anschaut, aber trotzdem nicht schlafen kann. «In einer solchen Situation kann es helfen, mit Schlafmitteln gut zu schlafen, um tagsüber mehr Energie für die Lösung seiner Probleme zu haben», sagt Voderholzer. «Vor allem Benzodiazepine sollte man aber nur ein bis zwei Wochen nehmen, denn die Mittel können schnell abhängig machen.»

Alternativen sind schlaffördernde Antidepressiva oder so genannte atypische Neuroleptika, manche profitieren auch von Melatonin oder pflanzlichen Mitteln wie Baldrian. «Man muss sich aber klar sein: Die Ursache der Schlafstörungen bekämpft man damit nicht», so Voderholzer.

Für Menschen mit Demenz sei ein «Grübelstuhl» oder eine Verhaltenstherapie natürlich schwierig, sagt Robert Perneczky, Leiter des Alzheimer Therapie- und Forschungszentrums an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. «Bei Menschen mit Demenz muss man andere Strategien anwenden.» Eine wichtige Rolle spiele der Tag- und Nacht-Rhythmus. «Wir sehen bei vielen Demenz-Patienten, dass der Rhythmus gestört ist.» Typisch ist das Sundowning: Am Abend werden die Betroffenen unruhig, laufen umher, sind nervös und können nicht schlafen.

Wie Rituale und das Licht den Schlaf beeinflussen

Bei Alzheimer kann unter anderem auch das Nervengebiet im Hirn geschädigt, in dem sich die innere Uhr befindet – das könnte die Störung der zirkadianen Rhythmik erklären. Viel helfe ein regelmässiger Tagesablauf und Rituale zum Schlafengehen.

«Wichtig sind die Lichtverhältnisse», sagt Perneczky. «Tagsüber hell, nachts dunkel: Das kann den Tag-/Nacht-Rhythmus stabilisieren.» Manche Menschen mit Demenz sitzen den ganzen Tag im dunklen Wohnzimmer im Sessel und schauen teilnahmslos vor sich hin – viel besser wäre, raus zu gehen und aktiv etwas zu unternehmen. «Am besten mit anderen Menschen», sagt Perneczky.

«Spazierengehen, Senioren-Kaffeekränzchen, eine Fahrt mit dem Bus, zum Spielplatz mit den Enkeln – so abwechslungsreich wie möglich.» Wachmachende Medikamente sollte man am Morgen nehmen. So ist zum Beispiel bekannt, dass Cholinesterasehemmer wie Donepezil oder Rivastigmin und kombinierte selektive Serotonin- und Norepinephrinwiederaufnahmehemmer wie Venlafaxin Schlafstörungen verursachen, wenn man sie am Abend nimmt.

Viel Zeit solle man sich für das Zubettgehritual nehmen, rät Pernecky. «Ist es Zeit schlafen zu gehen, sagt man dies dem Betroffenen und es schadet nichts, das immer wieder zu wiederholen. So kann er sich darauf vorbereiten.» Das Schlafzimmer sollte möglichst dunkel, ruhig und kühl sein, denn auch die Körpertemperatur unterliegt einer zirkadianen Rhythmik. Vorsichtig solle man mit Schlafmitteln sein, sagt der Psychiater. «Die Risiken wiegen meiner Meinung nach die Vorteile nicht auf.»

In einem kühlen Schlafzimmer schläft es sich besser, weil auch die Körpertemperatur eine zirkadiane Rhythmik hat.PD

Bei Menschen mit Demenz können Benzodiazepine, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Trazodon oder Antihistaminika zu übermässiger Tagesmüdigkeit führen, zu Verwirrung oder Schwindel, zu noch mehr kognitiven Problemen und es wird über ein erhöhtes Risiko für Stürze mit Hüftfrakturen berichtet.

Neuroleptika werden als Schlafmittel auch eher nicht empfohlen wegen der Nebenwirkungen auf das Herz. Sie können aber manchmal notwendig sein, wenn ein Patient so aggressiv ist, dass man ihm auf andere Weise nicht helfen kann. Besser als Medikamente seien beruhigende Rituale, sagt Perneczky. «Ruhige Musik vom CD-Spieler oder ein Abendlied vorgesungen – das hilft oft erstaunlich gut, dass Menschen mit Demenz zur Ruhe kommen.»

So begleitest du Menschen mit Demenz in den Schlaf

Peter Dolder, Gerontologe und Fachmann Betreuung, gibt Tipps für die Praxis:

  • Eine Demenz ist für den Betroffenen meist sehr anstrengend. Ein Mittagsschlaf kann entlasten – nach individuellen Bedürfnissen zwischen 30 und 60 Minuten.
  • Gehen Sie nachmittags raus! Licht, frische Luft und Bewegung unterstützen den Wach- und Schlafrhythmus.  
  • Reduzieren Sie gegen den Abend hin Sinnesreize und Aktivitäten. Dimmen Sie die Beleuchtung herunter. Auch Sie selber verhalten sich ruhig und lassen keine Hektik aufkommen.
  • Abendliche Verabschiedungen (zum Beispiel beim Schichtwechsel im Heim) bringen Unruhe auf die Station. Sie ermuntern Menschen mit Demenz dazu, ebenfalls aufzubrechen. Deshalb ist es besser, wenn sich die Mitarbeitenden in dieser Zeit nicht persönlich verabschieden, sondern einfach gehen.
  • Rituale wie singen, vorlesen, eine bestimmte TV-Sendung schauen, Zähne putzen usw. stimmen auf die Nacht ein. Dafür sollte man sich genug Zeit nehmen. Bei der Gestaltung der Rituale können die Angehörigen und die Biografie Anhaltspunkte geben.
  • In einem kuschelig eingerichteten Zimmer, eingekuschelt in eine Decke und mehrere Kissen, schlafen Menschen besonders gut.
  • Aromen wie Lavendel, Mimose oder Bergamotte unterstützen die Entspannung und das Einschlafen.
  • Wenn jemand in der Nacht nicht schlafen will, kann er zum Beispiel die Nachtwachen auf ihren Runden begleiten oder einer Beschäftigung nachgehen. So wird er in der Regel nach kurzer Zeit wieder müde sein.