Ältere Menschen, die schlecht sehen, haben ein erhöhtes Risiko zu stürzen, sich die Knochen zu brechen und gebrechlich zu werden. Die Altersmedizinerin Heike Bischoff-Ferrari aus Zürich plädiert für routinemässige Visus-Checks bei Aufnahme ins Spital und empfiehlt ab dem 65. Lebensjahr einmal im Jahr zum Augenarzt zu gehen.
alzheimer.ch: Frau Bischoff-Ferrari, Sie lassen bei all ihren Patienten die Sehkraft prüfen, wenn sie aufgenommen werden. Warum das denn?
Heike Bischoff-Ferrari: Das gehört bei uns zu einer umfassenden altersmedizinischen Beurteilung. Sehen ist ein zentraler Pfeiler der Lebensqualität und der Gesundheit älterer Menschen. Leider ist es so, dass die Sehkraft mit dem Alter abnimmt. Gut gezeigt haben das zum Beispiel Forscher aus London: Von den 75 bis 79-Jährigen kann jeder sechzehnte nicht mehr gut sehen, von den 80- bis 84-Jährigen jeder zehnte, von den 85- bis 89-Jährigen jeder vierte und bei den über 90-Jährigen ist es mehr als jeder Dritte.
Menschen mit eingeschränkter Sehkraft haben ein zwei- bis fünfach erhöhtes Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Ältere Menschen mit eingeschränkter Sehkraft habe ein etwa doppelt so hohes Risiko für Stürze, Knochenbrüche und Gebrechlichkeit.
Sie sind Direktorin des Zentrums für Alter und Mobilität. Was hat gutes Sehen mit der Mobilität älterer Menschen zu tun?
Gutes Sehen trägt wesentlich dazu bei, dass wir sicher gehen und unser Gleichgewicht halten. Ältere Menschen, die nicht mehr gut sehen, haben deshalb ein erhöhtes Risiko zu stürzen oder sich die Knochen zu brechen. Knochenbrüche bedeuten Spitalaufenthalte und lange Rehabilitation – über diese Kette kann schlechtes Sehen zu einer Einschränkung der Mobilität und zur Isolation führen.
Manchmal geht das so weit, dass sich die Betroffenen nicht mehr vielseitig und ausreichend ernähren, weil die Motivation zu Essen und die Essenszubereitung auch wesentlich über das Sehvermögen mitbestimmt sind. Das erhöht das Risiko, gebrechlich zu werden und seine Autonomie zu verlieren.
Was machen Sie im Alltag, um sehbehinderten Senioren zu helfen?
Gerade im Akutspital ist es besonders wichtig, eine eingeschränkte Sehfähigkeit zu erkennen und bestmöglich zu korrigieren. Wenn die Brille vergessen wurde, versuchen wir die Brille über die Angehörigen schnellstmöglich zu organisieren. Unsere Patienten, die schlecht sehen, sind in der ungewohnten Spitalumgebung enorm sturzgefährdet. Sie haben oft auch grosse Angst davor. In der Altersmedizin haben wir daher ein speziell ausgebildetes Team von Pflegenden und Therapeutinnen, welche diese Patienten bestmöglichst unterstützen.