Von Felicitas Witte
Erst erscheint die Umwelt verschwommen und unscharf, später farbloser, wie durch einen Nebel. Licht blendet, das Autofahren fällt schwer. Meist kann man mit beiden Augen nicht mehr sehen, es wird immer schlimmer. Die Diagnose: Ein grauer Star, Katarakt genannt. Die Krankheit heisst so, weil sich die Linse im Auge trübt und grau erscheint.
Die Betroffenen bekommen einen «starren» Blick, weil sie zunehmend schlechter sehen. Einzig eine Operation verbessert das Sehen. Der Augenarzt entfernt die trübe Linse und ersetzt sie durch eine künstliche. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen die Operation und auch die Kosten für Vor- und Nachbehandlungen. Für Ärger und Missverständnisse sorgen die Art der Linsen und die Untersuchungen. Die Krankenkassen zahlen eine Standardlinse, eine sphärische monofokale Linse. Mit dieser kann der Patient später in einem vorher festgelegten Bereich gut scharf sehen, entweder in der Ferne oder in der Nähe. Danach braucht er aber auf jeden Fall eine Brille für die Ferne oder eine Lesebrille.
Braucht es eine Standard- oder Extralinse?
Wer gerne in vielen Bereichen scharf sehen und weitgehend auf eine Brille verzichten möchte, wer eine starke Hornhautverkrümmung ausgleichen will oder nachts viel Auto fährt und dort besonders gut sehen möchte, profitiert von Linsen mit Extrafunktion. Die nennen manche Augenärzte Premiumlinsen.
Man kann die Linsenauswahl mit einem Autokauf vergleichen: Die Standardlinse ist der Golf – ein super Auto, mit dem viele gut klar kommen. Will der Autofahrer aber Extras wie ein sprachgesteuertes Navigationsgerät, Panorama-Schiebedach oder Autopilot, muss er mehr zahlen.
Abgesehen von den Wünschen des Patienten kommt es auf die Anatomie des Auges und etwaige Vorerkrankungen an. Viele Patienten kämen mit der Standardlinse wunderbar klar, sagt Thomas Kohnen, Direktor der Augenklinik an der Uni Frankfurt.
Zum Beispiel diejenigen, die schon jahrelang eine Brille tragen, sich daran gewöhnt haben und auch nach der Operation unbedingt eine Brille weitertragen möchten.
Er sehe aber immer öfter aktive Senioren, erzählt Kohnen, die spezielle Wünsche an ihr Sehen hätten und mit einer Extra-Linse viel Lebensqualität gewinnen könnten. Die einen stört die Brille beim Sport, die zweiten finden sich ohne Brille schöner, und die dritten arbeiten viel am Computer. Aber verhelfen die Extralinsen wirklich zu einem besseren Sehen? Inzwischen gibt es Dutzende von Studien, die verschiedene Linsentypen und den Einfluss auf das Sehen untersucht haben. Allerdings muss man die Studien kritisch lesen: Oftmals werden die Studien von Linsenherstellern unterstützt.
Das kann den Leser beeinflussen, zum Beispiel weil in der Studie nur Linsen des Sponsors untersucht wurden und nicht mit anderen Linsen verglichen wurden. Abgesehen davon, müsse man die Studien von den Hochglanzprospekten mancher Augenärzte unterscheiden, sagt Christian Prünte, Chefarzt in der Augenklinik im Unispital Basel.
«Die Prospekte spiegeln meist nur eine Auswahl der untersuchten Ergebnisse wieder, die die Vorteile der jeweiligen Linse aufzeigen.» Da die verschiedenen Linsen unterschiedliche Vor- und Nachteile hätten, müsse die beste Linse jeweils individuell für den Patienten ausgesucht werden.
«Über eines muss man sich klar sein», sagt Prünte. «Es gibt keine Linse, die in jeder Beziehung das Beste bieten kann.» Asphärische Linsen gleichen vereinfacht gesagt Abbildungsfehler aus, die im Rahmen des Alterungsprozesses der Linse auftreten können. Diese lohnen sich zum Beispiel, wenn man nachts viel Auto fährt.
Im Jahr 2013 hat eine Forschergruppe aus Deutschland 43 Studien mit insgesamt 4110 operierten Augen analysiert Patienten mit asphärischen Linsen sahen in den Studien besser Kontraste, vor allem im Dämmerlicht. Ein Blaufilter soll vor der Entwicklung einer altersabhängigen Makuladegeneration schützen, was aber nicht bewiesen ist. Einige Augenärzte bieten asphärische Linsen mit Blaufilter als Standardlinse an, so dass der Patient nichts dazu zahlen muss.
Hunderte von Linsenmodellen sind auf dem Markt
Abgesehen davon, dass das als Lockmittel missverstanden werden kann, weil der Augenarzt dem Patienten am Ende dann doch teure Extra-Linsen aufnötigt, haben heute die meisten Linsen mit Extra-Funktion auch asphärische Eigenschaften – es gibt also nicht die asphärische Linse. Mit multifokalen Linsen kann der Patient später in mehreren Bereichen scharf sehen: In der Nähe, im Mittelbereich – etwa am Computer – oder in der Ferne. Mit bifokalen Linsen gelingt ein scharfes Sehen in zwei Bereichen, mit trifokalen in drei. Für Menschen mit einer Hornhautverkrümmung könnte sich eine torische Linse eignen, die diese ausgleicht.
Inzwischen sind hunderte von Linsenmodellen auf dem Markt. Die beste auszusuchen brauche viel Zeit und der Augenarzt müsse sich Zeit nehmen für die Beratung, sagt Kohnen. «Das wichtigste dabei ist: Wie will der Patient später sehen? Und was kann er erwarten?» Ein weiterer Diskussionspunkt sind die Zusatzuntersuchungen. In Deutschland und in der Schweiz zahlt die Krankenkasse nur eine Ultraschall-Biometrie, mit der das Auge ausgemessen wird. Angenehmer ist eine optische Biometrie mit dem Laser, die aber extra kostet – in Deutschland rund 30 bis 55 Euro.
Ist sich der Patient absolut sicher, dass er keine Extra-Linse möchte, reicht eine Biometrie ohne weitere Zusatzuntersuchungen. Will er aber eine mit Extra-Funktionen, müssen die Augenärzte weitere Messungen vornehmen. Mit einer Tomographie beispielsweise lässt sich die Netzhaut beurteilen. Ist die nicht gesund – etwa weil der Patient eine erbliche Krankheit hat oder eine Gliose, eine Art Membran auf der Netzhaut, – kommen multifokale Linsen nicht in Frage.
Extralinsen können Nebenwirkungen haben
Für Linsen mit Extrafunktion muss man pro Auge mit mehreren hundert bis zu 3000 Euro rechnen. «Ob es das Geld wert ist, muss der Patient selbst entscheiden», sagt Christian Prünte. «Hierfür ist natürlich wichtig, dass der Augenarzt einen umfassend und gut verständlich erklärt, was für Vor- und Nachteile die verschiedenen Linsentypen haben. Dafür müssen sich Augenarzt und Patient Zeit nehmen.» Premiumlinsen könnten einen deutlichen Mehrwert bringen, aber so manch ein Patient sei auch mit einer einfachen sphärischen oder asphärischen Linse sehr zufrieden. «Immer wieder sehe ich Patienten, die mit einer extrem hochwertigen Multifokallinse gar nicht glücklich sind, da sie mit den Nebeneffekten nicht klarkommen.»
In der Schweiz werden Standardlinsen meist mit einem Pauschalpreis für die Operation abgerechnet. Das kostet die Kassen rund 2000 Franken. Die Grundversicherung zahlt auch eine Biometrie, mit der der Arzt das Auge ausmisst. Den Aufpreis für Sonderlinsen können Augenärzte selbstständig festlegen. Viele bieten auch hier einen Paketpreis an, der sich zum Teil erheblich unterscheidet. Einmal kostet beispielsweise ein Paket für eine Multifokal-Linse pro Auge 1500 Franken, einmal 3400 Franken.
«Ich würde mir verschiedene Angebote einholen und genau fragen, was das Paket beinhaltet», rät Kristof Vandekerckhove, Chefarzt der Vista Alpina Augenzentren und Tarifexperte in der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft. Manche Kollegen böten zum Beispiel mehr oder häufigere Voruntersuchungen an, etwa zusätzlich zur Biometrie eine Hornhaut-Topographie. Die Untersuchungen sind aufwändiger, denn der Arzt benötigt genauere Werte als für Standardlinsen, um die Brechkraft der neuen Linse auszurechnen. Sind die Werte nur wenige Mikrometer falsch, benötigt der Patient später womöglich doch noch eine Brille.
Für Patienten mit Standardlinsen sind dagegen nicht ganz so exakte Werte nicht so schlimm, denn sie bekommen ja eh eine Brille. Er würde Biometrie und Topographie manchmal zwei- oder dreimal durchführen lassen, sagt Vandekerckhove, um möglichst genaue Daten zu haben.
Sehkraft ist ein Gewinn an Lebensqualität
Was der Laie nicht einschätzen kann, ist die Qualität der Linse und ob der Arzt so exakt operiert, dass die Linse gut sitzt und er keine Brille braucht. «Am besten sucht man sich einen Augenchirurgen, der Hunderte von Katarakt-Operationen pro Jahr macht und zu dem man Vertrauen hat», rät Vandekerckhove. Abgesehen von den Preisen lohnt es sich, die Gesamtausgaben im Blick zu haben. So sparten Patienten in Studien im Laufe ihres Lebens einiges an Geld, weil sie sich nach der Operation mit Sonderlinsen keine teuren Brillen mehr kaufen mussten. «Abgesehen davon ist die Investition für viele ein deutlicher Gewinn an Lebensqualität», sagt Augenarzt Kohnen aus Frankfurt. «Das kann man mit Geld sowieso nicht aufrechnen.»