Lieselotte Klotz ist 64 Jahre alt und bekam vor sechs Jahren die Diagnose Demenz – aber davon merkt man wenig. Sie redet schnell, wirft mit Fachbegriffen um sich, antwortet präzise, stellt provokante Gegenfragen und verwickelt einen in Diskussionen. Neulich war sie in Berlin bei einer Sitzung, danach flog sie allein nach Japan, um ihre Tochter zu besuchen, und im Oktober hält sie in Genf auf einem Kongress einen Vortrag zum Thema »KI im Gesundheitswesen«.

Mehr als zwanzig Jahre war Lieselotte Geschäftsführerin in IT-Firmen mit Hunderten von Mitarbeitern. Nach der Diagnose Lewy-Körperchen-Demenz (auch Lewy-Body-Demenz genannt) im November 2017 kündigte ihr Arbeitgeber ihr ohne jegliches Gespräch. Sie brauchte Monate in einer psychosomatischen Klinik, um über das Tief hinwegzukommen.

Heute engagiert sie sich ehrenamtlich bei der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft DAG, bei Alzheimer Europe und im Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Sie hält Vorträge, macht Schulungen, führt Gespräche mit Betroffenen und Angehörigen, unterstützt europaweite Forschungs-Projekte und setzt sich in der Politik für Menschen mit Demenz ein. Wütend ist sie immer noch auf ihren damaligen Arbeitgeber.

Liselotte kommt am 21. September 2024 ans Demenz Meet in Köln

Leichte Stunden zum schweren Thema. Mutmachgeschichten, Inspiration und Austausch auf Augenhöhe: Die Demenz Meets zeigen auf, dass eine Diagnose nicht das Ende ist, dass es auch mit Demenz viel Lebensqualität geben kann. Am 21. September findet zum ersten Mal in Köln ein Demenz Meet statt. Liselotte Klotz und ihre Mutmachgeschichte kannst du dort live erleben!

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So hat sie uns ihre Geschichte erzählt:

Die Diagnose Demenz bedeutet noch lange nicht, dass man uns aus dem Berufsleben ausrangieren darf. Die Diagnose war furchtbar genug. Aber dass ich entlassen wurde, war die Demontage meines Selbstbildes. Ich war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, verdiente 200’000 Euro im Jahr, hatte einen Geschäftswagen, ernährte meine Familie. Und plötzlich war ich ein Nichts. Es fing 2017 an. Ich hatte auf einmal Halluzinationen, habe Tiere gesehen, Hunde, die es in Wirklichkeit nicht gab. Ich verstand Excel-Tabellen nicht mehr, die ich selbst programmiert hatte.

Lieselotte Klotz (3. von rechts) auf einem Netzwerktreffen der Nationalen Demenzstrategie.
Lieselotte Klotz (3. von rechts) auf einem Netzwerktreffen der Nationalen Demenzstrategie.Bild NDS

Ich konnte unseren mehrstündigen Meetings nicht mehr folgen. Manchmal war ich auf dem Weg zu einem beruflichen Termin, aber ich wusste nicht mehr, warum ich unterwegs war und was ich dort machen wollte. Öfter war ich auch wie eingefroren, so als würde man auf einer DVD die Pausentaste drücken. Offenbar konnte ich das so gut kaschieren, dass meine Kollegen nichts gemerkt haben. Oder sie haben etwas gemerkt, aber nichts gesagt.

Ich selbst wollte lange nicht wahrhaben, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich dachte, ich hätte ein Burnout oder dass meine Migräne wieder schlimmer wurde und die Hunde Ausdruck einer Aura sind, also Sehstörungen vor der Kopfschmerzattacke. Dass ich keinerlei Kopfschmerzen hatte, habe ich ignoriert. Krank zu werden, konnte ich mir nicht leisten.

Nach der Trennung 1996 von meinem Mann kümmerte ich mich um meine drei Kinder, ich musste die Studiengebühren bezahlen und unser gemeinsames Leben sichern. Das war ein über lange Jahre, andauernder enormer emotionaler und finanzieller Druck. Meine Kinder drängten mich dann Mitte 2017, das abklären zu lassen.

Eine Neuropsychologin machte fünf Tage lang Tests mit mir, sagte mir aber nicht die Diagnose. Die erfuhr ich erst von meinem Hausarzt. Er sagte »frühdementielle Erkrankung« und »Lewy-Körperchen-Demenz« und verabschiedete mich. Ich war so getroffen von der Diagnose, dass ich noch nicht mal darüber nachdachte, wie respektlos das Verhalten des Arztes war.

Ich fragte die Arzthelferin nach dem Befundbericht und recherchierte zu Hause nach der Krankheit. So wie viele Menschen habe ich die Realität verweigert. Ich wollte das nicht wahrhaben und habe so getan, als sei alles in Ordnung. Mit aller Kraft versuchte ich weiterzuarbeiten. Aber ich verlor das Vertrauen in mich.

Ich hatte ständig Angst, etwas falsch zu machen, und als Konsequenz passierten mir dann auch Fehler.

Furchtbar war der Kongress mit einem unserer langjährigen und wichtigsten Kunden. Die Herren kamen mir auf dem Flur entgegen – aber ich erkannte sie nicht. Ich habe gelächelt und verzweifelt versucht herauszubekommen, wer das sei und was ich hier eigentlich gerade mache. Auf dem WC habe ich meine Assistentin gefragt: »Wer war das nochmal?« Sie war schockiert.

Kurz darauf bin ich beim Einsteigen in ein Flugzeug zusammengebrochen und man hat mich in die neurologische Klinik in Bonn gebracht. Am 23. Dezember kam ein Brief per Post – die Kündigung. Ich bat um ein Gespräch mit meinem Chef, aber er wimmelte mich ab. Dass das gesetzlich nicht erlaubt war, mir so spontan zu kündigen, war mir nicht bewusst. Ich hatte in dem Moment auch keine Kraft, mir einen Anwalt zu suchen.

Ich merkte selbst, dass ich den Alltag kaum überstand. Eine Freundin empfahl mir einen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik. Ich lernte, dass die Diagnose kein Schicksalsschlag ist, den ich passiv hinnehmen muss, sondern dass ich mein Leben weiterhin selbst gestalten kann. Ich wurde wieder selbstbewusster und merkte: Ich kann immer noch sehr viel und ich wollte unbedingt wieder arbeiten.

Doch nach der Reha war ich erstmal arbeitslos. Ich bekam Arbeitslosengeld und eine gratis-Beratung beim Arbeitsamt. Die Dame wollte mich eigentlich auch aufs Abstellgleis schieben, aber ich quengelte so lange, bis mir das Amt eine halbjährige Weiterbildung zur Business Development Managerin bezahlte. Mir machte das viel Freude, aber letztlich war ich den Anforderungen leider doch nicht gewachsen. Als ich die Prüfung nicht bestand, sagte die Dame im Arbeitsamt: »So geht das nicht, wir müssen Sie berenten.«

Ich habe mich immer nutzloser und wertloser gefühlt. 2020 rief ich die Alzheimer-Gesellschaft an, und seitdem kann ich mich vor Aufgaben nicht retten. Ich bin sehr froh, dass meine Sprache noch gut funktioniert und dass ich mich mit IT, Digitalem und mit KI auskenne – ohne Alexa, Outlook und digitale Medien käme ich nicht so gut klar.

Heute engagiert sich Lieselotte Klotz für die Anliegen von Menschen mit Demenz.
Heute engagiert sich Lieselotte Klotz für die Anliegen von Menschen mit Demenz.Bild NDS

Unternehmen und jeder Mensch sollten sich über Demenz und die unterschiedlichen Formen informieren. Kaum einer weiss zum Beispiel, dass die Lewy-Körperchen-Demenz wie eine Achterbahn ist. Manchmal bin ich geistig gut dabei und man merkt mir wenig an, dann kommen plötzlich meine Halluzinationen, ich habe Gleichgewichtsstörungen und schwanke beim Gehen oder ich bin so erschöpft, dass ich erstmal ein paar Stunden schlafen muss.

Leider denken Menschen beim Begriff Demenz sofort an jemanden, der vergesslich ist und nichts mehr kann und sofort ins Pflegeheim muss. Aber dass eine Demenz sich sehr unterschiedlich bemerkbar machen kann und dass man mit den Betroffenen mitunter ganz normal umgehen kann, ist kaum einem bekannt.

Menschen mit Demenz haben keine starke Lobby – deshalb fehlt es oft an finanziellen Mitteln, um beispielsweise ehrenamtliche Arbeit zu honorieren oder um eine nachhaltige Aufklärungsarbeit zu leisten. Trotzdem bin ich dankbar für die Gelegenheit, mich zu engagieren. Es verleiht mir das Gefühl, wertvoll zu sein und etwas Sinnvolles zu tun. Doch es fällt mir immer wieder auf, dass auch innerhalb der Demenz-Community Menschen mit Demenz nicht ausreichend ernst und wahrgenommen werden.

Ein besonders krasses Beispiel war, als ich von einer Netzwerk-Tagung ausgeschlossen wurde, weil angeblich nur »Stakeholder« teilnehmen durften. Das hat mich auf die Palme gebracht. »Wie können sie es wagen, uns auszuschließen, obwohl es doch genau um uns geht?« Meinen ehemaligen Arbeitgeber habe ich verklagt und eine Abfindung bekommen.