Von Felicitas Witte

Mit zunehmendem Alter fällt es vielen Menschen schwer, sich in Haus oder Wohnung zu bewegen. Das ist nicht nur mühselig, sondern kann langwierige gesundheitliche Folgen nach sich ziehen: Stürze und Knochenbrüche, chronische Schmerzen, Pflegebedürftigkeit und gar einen vorzeitigen Tod. Allein schon die Angst zu stürzen kann die Lebensqualität einschränken. Das wiesen kürzlich Forscher vom Hamburg Center for Health Economics in einer Studie mit 309 Senioren über 70 Jahre nach. Abgesehen von der Belastung für die Betroffenen kostet die Behandlung von Stürzen und Knochenbrüchen viel Geld. Das Problem wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen.

In Deutschland sind 18,1 Millionen Menschen älter als 65 Jahre – das ist jeder fünfte in der Bevölkerung. Ein heute sechzigjähriger Mann lebt im Schnitt noch 21,8 Jahre, eine ebenso alte Frau 25,4 Jahre. Und selbst 90-Jährige haben gute Chancen, noch ein paar Jahre zu leben. Eine barrierefreie Wohnung kann helfen, den Alltag so lange wie möglich eigenständig zu meistern. Das gilt nicht nur für Senioren, sondern auch für junge Menschen, etwa weil sie chronisch entzündliches Rheuma haben, multiple Sklerose oder nach einem Unfall behindert sind.

Wie sinnvoll ein barrierefreies Heim wäre, haben vor zwei Jahren Forscher der Universität Tokio berechnet. Sie befragten 1561 Männer und Frauen, die im Schnitt 68 Jahre alt waren. Einer von dreien berichtete, er sei in den drei Jahren zuvor zu Hause gestürzt. Jeder zehnte von ihnen erlitt dabei einen Knochenbruch. Diejenigen, die in einem nicht barrierefreien Haus lebten, hatten ein viermal so hohes Risiko, sich wegen eines Sturzes einen Knochen zu brechen. Die Wissenschaftler hatten dabei andere Faktoren herausgerechnet, die das Risiko für Knochenbrüche im Alter erhöhen, etwa wenn jemand nicht mehr gut sieht, unsicher steht oder geht oder bestimmte Medikamente nimmt.

Nur 1,5 Prozent des Wohnraums ist barrierefrei

Das Problem ist aber: Hierzulande gibt es zu wenige barrierefreie Behausungen. Gemäss einer Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) lebten Ende 2018 in drei Millionen Haushalten eine oder mehrere Personen, deren Mobilität eingeschränkt ist. Doch von den 37 Millionen Wohnungen inklusive Einfamilienhäusern in Deutschland sind nur 560’000 nach bestimmten Kriterien barrierearm, also etwa ohne Schwellen und Stufen, mit ausreichender Bewegungsfreiheit und einer bodengleichen Dusche.

Vera Schmitz
Vera Schmitz.

Wer Wohnung oder Haus altersgerecht umbauen möchte, findet in der Baunorm DIN 18040 Teil 2 die wesentlichen Anforderungen an barrierefreies Bauen. Die Norm gilt zunächst als Leitfaden. Sie muss aber dann angewendet werden, wenn sie als Bestandteil der Landesbauordnung als technische Bauvorschrift rechtsverbindlich eingeführt ist. Das Gesetz unterscheidet sich hier von Bundesland zu Bundesland. «In öffentlichen Bauten haben Bauherren barrierefreies Bauen inzwischen auf dem Schirm», sagt Vera Schmitz, Architektin und Innenarchitektin in Oberhausen. «Im privaten Bereich sind aber noch viele überrascht, wenn ich das Thema anspreche. Dabei sollte das heute überall selbstverständlich sein.»

Barrierefrei bauen bedeute jedoch nicht, dass man jeden Raum von Anfang an mit dem Rollstuhl befahren können solle, aber Haus oder Wohnung sollten rasch an spätere Bedürfnisse angepasst werden können. Sie plädiere dafür, sagt Schmitz, von Anfang an barrierefrei zu bauen. «Selbst wenn eine junge Familie später im Alter nicht mehr in dem Haus leben will, erhöht sie durch eine seniorengerechte Gestaltung den Wert ihrer Immobilie.» Abgesehen davon bedeutet barrierefrei auch mehr Komfort.

Barrierefrei bietet auch Gesunden Annehmlichkeiten

Wer findet es nicht angenehm, seine zwei vollgepackten Einkaufstaschen bequem durch eine breite Haustür zu tragen oder die Kinder mit viel Platz in einer grossen Dusche zu duschen? «Ich kann nur allen empfehlen, sich die vielfältigen Möglichkeiten anzuschauen», sagt Hans Jürgen Heppner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. Er und seine Frau hätten schon vor zehn Jahren, mit Anfang 40, eine ebenerdige Dusche mit grosser Flügeltür und hohem WC montieren lassen. „

«Barrierefreies Bauen verhindert nicht nur unnötige Verletzungen», sagt der Arzt. «Es bietet viele Annehmlichkeiten, auf die wir im Alltag nicht mehr verzichten möchten.» Es gibt nicht das barrierefreie Zuhause; was für den Einzelnen notwendig ist, ist individuell unterschiedlich. Als Mindestmassnahme empfehlen Architekten einen ebenerdigen Eingang, eine ausreichend breite Eingangstür, schwellenlosen Zugang zu Balkon oder Terrasse und eine bodengleiche Dusche.

«Vieles weitere lässt sich im Nachhinein nachrüsten, man muss aber daran denken», sagt Vera Schmitz. So lassen sich beispielsweise Trockenbauwände im Bad verstärken, um später Haltegriffe an die Wände zu montieren. Oder man verlegt elektrische Leitungen in die Wände, um später Rollläden automatisch hoch- und runterfahren zu lassen. Auch Bestandsbauten lassen sich seniorenfreundlich umbauen. Ein paar Beispiele:

  • barrierefreier Eingang mit Rampe oder Hebeplattform
  • Zimmertüren gegen breitere oder gar automatische Schiebetüren austauschen
  • alte Badewanne, Dusche und WC herausreissen und mit mehr Platz neu bauen: bodengleiche Dusche, mindestens 1,20 mal 1,20 Meter gross
  • WC ausreichend hoch, zwischen 46 und 48 Zentimetern
  • genügend Sitzgelegenheiten im Bad, Haltegriffe, rutschfeste Fliesen
  • in die Küche unterfahrbare Arbeitsplatte einbauen
  • Einbauschränke austauschen gegen Apothekerschränke zum Ausziehen
  • das Bett im Schlafzimmer sollte von drei Seiten zugänglich sein und seitlich mindestens 1,20 Meter Platz lassen.

Diese Liste liesse sich noch länger fortsetzen. Wie aufwendig der Umbau sei, hänge nicht nur von den individuellen Wünschen ab, sondern auch von den Gegebenheiten, sagt Alexander Krippstädt, Innenarchitekt in Dresden. So seien beispielsweise Gründerzeit-Wohnungen einfacher umzubauen als Wohnungen der Nachkriegszeit, denn letztere hätten mehr tragende Wände, und man könne diese nicht einfach so herausnehmen, um Platz zu schaffen. Die Kosten hängen von den einzelnen Massnahmen ab.

Neubauten von Anfang an barrierefrei planen

Für eine neue Dusche muss man mit 1200 Euro rechnen, für unterfahrbare Küchenelemente mit 1400 Euro. Eine Zugangsrampe kostet rasch 5000 Euro, eine Hebeplattform 5000 bis 12’000 Euro. Es gibt aber Unterstützung vom Staat: zum Beispiel von der KfW einen Kredit über 50’000 Euro oder bis zu 6250 Euro Zuschuss, Fördermittel von der Pflegekasse, und zur Not kann man einen Teil seiner Immobilie verkaufen.

Alexander Krippstädt.
Alexander Krippstädt.

Für den Neubau lohnt es sich, von Anfang an barrierefrei zu planen. Denn das ist erstaunlicherweise kaum teurer, wie vor drei Jahren die auf den Bau von Seniorenbauten spezialisierte Terragon AG mit einem Musterprojekt ausrechnete. 130 von 140 Kriterien für barrierefreies Bauen gemäss DIN 18040-2 verursachten in einem fiktiven fünfstöckigen Wohngebäude in Berlin mit 20 Wohnungen und 1500 Quadratmeter Wohnfläche nicht mehr Kosten. Barrierefreiheit machte nur gut 1 Prozent der Gesamtbaukosten aus.

«Setzt man die Mehrkosten in Beziehung zum Anstieg von Grundstückskosten, Kaufpreisen oder Grunderwerbsteuer, ist das vernachlässigbar gering», sagt Michael Held, der Terragon 1994 gründete. «Vor allem, wenn man durch kluges Planen und mit preisgünstigen Lieferanten noch mehr Kosten spart.»

Abgesehen davon sei bei einer Marktausdehnung des barrierefreien Wohnungsbaus mit zunehmend preisgünstigeren Produktangeboten aus der Industrie zu rechnen. Er frage sich seit längerem, sagt der Dresdner Architekt Krippstädt, warum barrierefreies Bauen immer noch ein so schlechtes Image habe. «Es sollte uncool sein, mit Barrieren zu bauen – nicht umgekehrt.»