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Demenz-Symptome

Die Liebe ist besser als Medikamente

Lieselotte Klotz pflegte und betreute 12 Jahre lang ihre Mutter Liesel, die Alzheimer-Demenz hatte. Sie selbst lebt seit 2017 mit der Diagnose Lewy-Body-Demenz. privat

Menschen mit Demenz sind öfter mal unruhig, laufen ständig umher, sind aufgeregt, haben Angst oder verhalten sich barsch oder gar aggressiv. Das sind die so genannten behavioralen und psychischen Symptome einer Demenz, abgekürzt BPSD.

Fast jeder Mensch mit Demenz hat solche Symptome im Verlauf der Erkrankung. Viele Ärzte verschreiben Antipsychotika, obwohl sie schwere Nebenwirkungen verursachen können. Außerdem sollten sie erst dann eingesetzt werden, wenn nichtmedikamentöse Maßnahmen nicht helfen.

Aber wie hilft man als Angehöriger den Betroffenen, wenn man selbst genervt ist von den Symptomen oder unendlich verletzt, weil man aggressiv angegangen wird? Lieselotte Klotz, 64 Jahre alt, hat ihre Mutter Liesel zwölf Jahre lang bis zu deren Tod gemeinsam mit ihrem Sohn und ihrem Bruder gepflegt.

Sie erzählt, wie sie mit den Symptomen ihrer Mutter klarkam und wie sie ihre eigenen BPSD in Schach hält, warum sie weder für Liesel noch für sich Antipsychotika wollte und wie sie es geschafft hat, ihrer Mutter auch ohne Medikamente zu helfen.


»Als meine Mutter die ersten Symptome zeigte – später stellte sich heraus, dass es Alzheimer war – spürte ich ein Chaos von Emotionen, aber auch gleichzeitig Angst, nicht ausreichend für sie da sein zu können. Die Diagnose Demenz ist zu Beginn immer eine große Blackbox. Man selbst hat viel zu wenig Ahnung von der Erkrankung, dem Verlauf, den Therapiemöglichkeiten. Hilfe und Unterstützung war nicht in Sicht.

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Lieselotte Klotz wird ihre Geschichte auch am Demenz Meet Köln am 21.9. erzählen.
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Und da ist ja auch noch das eigene Leben, das man eigentlich unbeschwert leben möchte. Meine Mutter war zu Anfang eher zurückhaltend, in sich gekehrt und zeigte die typischen Symptome von Alzheimer, also vor allem Gedächtnisprobleme. Erst über die Jahre kamen BPSD dazu. Sie war oft unruhig, ungehalten, aggressiv, lief ständig umher. Immer wollte sie beweisen, dass sie noch alles allein kann.

Gleichzeitig spürte ich, dass sie Angst hatte und verwirrt war, weil sie nicht wusste, was mit ihr passiert. Es war sehr oft herzzerreißend zu sehen, wie jemand, den ich mein ganzes Leben gekannt hatte, plötzlich von dieser Krankheit überrollt wurde. Anfangs fühlte ich mich hilflos und lernte erst mit der Zeit, wie ich ihr am besten helfen und mich selbst schützen kann: Mit Liebe, Humor und radikaler Akzeptanz.

Mit den Jahren entwickelte ich Strategien und lernte, besser mit den Symptomen umzugehen. Ich informierte mich intensiv über Demenz und die Krankheitszeichen, was mir sehr half, die Verhaltensweisen meiner Mutter besser zu verstehen. Durch den Austausch mit anderen Angehörigen fand ich Trost und Unterstützung. Ich lernte, Geduld zu haben und mich nicht persönlich von Liesels Ausbrüchen betroffen oder angegriffen zu fühlen.

Das war aber am Anfang nicht einfach. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, sie ernst zu nehmen und mit Verständnis zu reagieren statt mit Trauer und Wut, wenn sie mal wieder enorm unruhig war oder einen Wutausbruch hatte. Ich hielt meiner Mutter dann die Hand, manchmal sanft, manchmal energisch. Mitunter half es, sie einfach nur in den Arm zunehmen, sie zu streicheln oder eine bekannte Melodie zu summen.

Ich habe gelernt, dass sie sich nicht absichtlich so verhielt, sondern dass es die Krankheit war, die sie so reagieren liess. Oft versuchte ich, die Situation mit Humor zu sehen, was immer besser funktionierte. Statt mich zum Beispiel darüber aufzuregen, dass sie beim Kochen die Dessertzutaten in die Nudelsauce warf, nahm ich sie in den Arm und sagte: Wow, Mama, wir werden Starköchinnen – Du hast gerade ein neues Rezept erfunden!

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Begleitsymptome

Neben Vergesslichkeit treten bei einer Demenz andere Beschwerden auf. Dazu gehören auch psychische Störungen wie Angst, Depression oder Aggression. weiterlesen

Es geht nur, wenn man die BPSD radikal akzeptiert. Gemeinsam fanden wir nach und nach Wege, um Momente der Freude und Normalität in unseren Alltag zu integrieren und uns auf das zu konzentrieren, was noch möglich war.

Wir gingen spazieren, hörten ihre Lieblingsmusik – Peter Alexander – oder schauten alte Fotos an. Das gemeinsame Kochen jeden Tag wurde zum Ritual. Manchmal sangen wir lauthals alte Schlager oder prusteten vor Lachen, wenn wir im Fernsehen etwas Lustiges sahen. Die Verhaltens-Symptome traten immer seltener auf.

Natürlich gab es immer wieder schwierige und grenzwertige Momente. Wir – also mein Bruder und mein Sohn, die gemeinsam mit mir meine Mutter pflegten – brauchten manchmal viel Kraft, um mit den Aufs und Abs klarzukommen.

Besonders schlimm war es, als ich im Jahr 2017 – ich war erst 58! – ebenfalls die Diagnose einer Demenz bekam, und zwar einer Lewy-Körperchen-Demenz.

Nach dem ersten Schock und Monaten in einer psychosomatischen Klinik fühlte ich mich aber wieder gerüstet, meiner Mama beizustehen. Überdies konnte ich jetzt viel besser verstehen, was es heißt, die Diagnose einer Demenz zu bekommen und festzustellen, wie sich womöglich Menschen von einem abwenden.

Antipsychotika hat meine Mutter bei uns zu Hause nie bekommen, und das aus gutem Grund. Persönlich sehe ich wenig Nutzen darin. Ich sehe Antipsychotika ausschließlich als letzten Ausweg, der nur in extremen Fällen in Betracht gezogen werden sollte. Meine Mutter war öfter im Krankenhaus – unter anderem wegen Knieoperationen. Häufig bekam sie dort Antipsychotika. Jedes Mal, wenn sie aus der Klinik kam, war sie verwirrt und apathisch. Wir haben die Präparate immer mühevoll ausgeschlichen.

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Lewy-Body-Demenz

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Meine Gründe gegen Antipsychotika – das gilt auch für mich als Betroffene – sind die vielen und zum Teil schweren Nebenwirkungen, die sich insbesondere bei älteren Menschen bemerkbar machen. Ich frage mich, ob Angehörige es zulassen würden, dass ihre Liebsten Antipsychotika bekommen, wenn der Arzt sie adäquat über all die Nebenwirkungen aufklären würde.

Antipsychotika behandeln außerdem nicht die zugrundeliegende Ursache der Symptome, sie unterdrücken lediglich unerwünschtes Verhalten. Wir haben immer das Erhalten der Autonomie und der Würde unserer Mutter in den Vordergrund gestellt. Verhaltenskontrolle war nicht unser Ding.

Ich bin auch gegen Antipsychotika, weil ich sie selbst mal bekam und sehr negative Erfahrungen damit gemacht habe. Zu meinen BPSD gehören Halluzinationen – ich sehe oft Hunde oder Menschen, das kann ziemlich Angst machen – Schlafstörungen und Bewegungsstörungen. Oft neigt sich mein Körper beim Gehen und Stehen zu einer Körperseite.

Manchmal zittere ich wie ein Mensch mit Parkinson, meine Muskeln werden steif und ich bewege mich so langsam wie in Zeitlupe. Eine Neurologin hatte mir Antipsychotika verschrieben, obwohl diese Präparate bei einer Lewy-Körperchen-Demenz eigentlich nicht gegeben werden dürfen. Sie können nämlich die Symptome noch verschlimmern.

Genau das ist bei mir passiert, ich musste sogar ins Krankenhaus, weil ich eine Depression entwickelte. Der Neurologe in der Klinik war entsetzt über diesen »Therapieversuch« seiner Kollegin und hat das Medikament sofort ausgeschlichen. Ich hätte gegen die Neurologin klagen können, habe das aber nicht gemacht, weil ich keine Kraft hatte.

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Natürlich beeinflussen und belasten mich meine Verhaltenssymptome in bestimmten Momenten und Situationen. Es fühlt sich an wie auf einer Achterbahn, denn die sie kommen plötzlich und ändern sich auch immer mal wieder. Es ist eine ständige Herausforderung, damit umzugehen. Aber ich arbeite stetig daran, Wege zu finden, um damit klarzukommen. Besonders hilft mir das Prinzip der Salutogenese.

Das bedeutet für mich, dass ich mich weniger auf die Symptome meiner Erkrankung und deren Auswirkungen auf meinen Geist fokussiere, sondern ich schaue auf die funktionierenden, gesunden Anteile und Möglichkeiten. Dass stärkt mich und hilft mir, die schlechten Tage besser zu meistern.

Wir dürfen Demenz in unserer Gesellschaft und auch in der Politik nicht länger totschweigen. Es ist immer noch ein Tabu – dabei erkranken pro Jahr allein in Deutschland 300’000 Menschen neu an Demenz. BPSD sind häufig und gegenwärtig. Es bringt nichts, sie mit Antipsychotika »auszuschalten« und dabei den Betroffenen womöglich durch starke Nebenwirkungen zu schaden.

«Diese Art von Journalismus hilft Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen. demenzjournal.com ist eine äusserst wertvolle Plattform, nicht zum Vergessen!»

Irene Bopp, ehemalig Leitende Ärztin Memory Clinic Waid in Zürich

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Ich bin froh, dass wir unsere Mutter bis zu ihrem Tod zuhause gepflegt haben. Die BPSD mit ihr zusammen zu erleben war zwar vor allem am Anfang anstrengend, aber durch unsere Strategien ist es gelungen, sie zu überwinden und in Summe waren es viele wunderschöne Momente.

Ich wünsche mir von der Gesellschaft eine radikale Veränderung im Umgang mit Demenz: Mehr Verständnis, mehr Unterstützung und vor allem die Bereitschaft, den betroffenen Menschen mit Liebe, Humor und radikaler Akzeptanz zu begegnen, statt sie mit Antipsychotika ruhig zu stellen. Denn nur so können wir ihre Würde bewahren und ihnen trotz der Herausforderungen ein erfülltes Leben ermöglichen.«