Das erklärt, warum in der Schweizer Stress-Studie fast jeder zweite der Befragten im Lockdown genauso viel oder wenig depressiv war wie vor der Krise. Die Corona-Krise unterscheide sich aber in einem wichtigen Punkt von anderen Lebenssituationen, sagt Adorjan.
«Es kommen auf einmal mehrere Stressoren zusammen. Einsamkeit, Ängste, Unsicherheit, Konflikte zu Hause oder im Job – da braucht man schon eine robuste Psyche, um damit klarzukommen.» Man kann aber seine Resilienz stärken, und das auch noch mitten in der Krise.
Gut belegt ist, dass kognitive Verhaltenstherapie wirkt.
Hier lernt der Betroffene, mit Stress besser umzugehen und etwa eine «Realitätsprüfung» der Ängste durchzuführen. «Manche haben Panik, sich überall und ständig anzustecken, obwohl das Risiko dafür geringer ist, wenn man konsequent Abstand hält und Maske trägt», sagt Kristina Adorjan.
Die Psychiater haben einige praktische Tipps: Seltener Nachrichten lesen und dann aus vertrauenswürdiger Quelle, sich etwas Schönes vornehmen wie ein gutes Buch lesen und regelmässig Sport treiben. Versuchen, der Situation etwas Positives abgewinnen. Jetzt ist endlich Zeit, ausführlich Weihnachtskarten zu schreiben oder online Italienisch zu lernen.
Helfen kann zudem realistischer Optimismus.
Wir können an den Entscheidungen der Politiker nichts ändern, und es hilft nichts, sich darüber zu ärgern. Besser ist, sich zu sagen, dass die Zeit schon irgendwie vorbeigehen werde. Die Einschränkungen bergen auch die Chance, mehr mit Freunden oder der Familie offen über seine Gefühle zu reden – das geht auch online und kann Beziehungen festigen, die einem psychische Stabilität geben.
Ist man jedoch nicht nur schlecht drauf, sondern fühlt sich richtig niedergeschlagen, schläft schlecht, ist ängstlich und unruhig, könnte das ein Zeichen für eine beginnende Depression sein.
«Ich rate dringend, sich dann nicht in der Einsamkeit zu verkriechen, sondern zum Arzt zu gehen», sagt Fulvia Rota, Psychiaterin in Zürich und Präsidentin der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP). «Eine Depression lässt sich behandeln, wenn man frühzeitig kommt.»
75 Minuten Fernbehandlung
Man habe sich dafür eingesetzt, dass das Angebot der psychiatrischen Praxen während des Lockdowns erhalten bleibe, via Telefon oder Video und in Notfällen auch vor Ort. «Es hat mehr als zwei Wochen gedauert, bis das Bundesamt für Gesundheit einverstanden war, dass 75 Minuten Telefon oder Video genauso wie die Präsenz-Therapie von der Kasse bezahlt werden», erzählt Rota.