alzheimer.ch: Wann und auf welche Weise kamen Sie erstmals mit Demenz in Kontakt?
Florian Meisetschläger: In der neunten Klasse absolvierte ich ein zweiwöchiges Praktikum in der Altenpflege. Eigentlich hatte ich schon immer mit Demenz zu tun. Meine Grossmutter arbeitete für die Spitex, da bin ich ab und zu mitgefahren. Später erkrankte meine andere Grossmutter an einer Demenz.
Sabrina Suter: Bei mir war es in einem Praktikum, das ich vor meiner Ausbildung in einem Altersheim absolvierte.
Menschen mit Demenz verhalten sich oft nicht konform. Wie haben Sie dies zu Beginn erlebt? Waren Sie unsicher?
FM: Als Kind war es für mich ganz normal, dass sich Menschen mit Demenz anders verhalten. Später, während der Ausbildung, dachte ich manchmal: Was ist denn hier los? Ich hatte Hemmungen und fragte mich, wie man mit diesen Menschen umgeht und spricht. Ich sprach oft mit meiner Familie und mit Arbeitskollegen darüber. Wenn man so aufwächst wie ich, fällt einem der Einstieg leichter.
Es ist Nachmittag, und Sie beide kommen gerade von der Arbeit. Hat es heute auf Ihrer Abteilung schwierige Situationen gegeben?
SS: Ja, wir haben einen Bewohner, dessen Stimmung sehr schwankend ist. Es gibt Stunden, in denen er aggressiv reagiert. Er kann laut und handgreiflich werden. Heute hat er laut geschimpft. Er ist als Feriengast bei uns und versteht nicht, warum er nicht nach Hause gehen kann.
Wie haben Sie darauf reagiert?
SS: Ich betreute ihn eins zu eins und gab ihm das Reserve-Medikament, damit er nicht noch aggressiver wird. Erst wollte er kein Mittagessen, aber nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, beruhigte er sich.
FM: Auf der Oase, wo ich arbeite, sind die meisten Bewohner bettlägerig. Wir haben aber einen Bewohner, der uns oder seine Mitbewohner am Arm packt, wenn er etwas will. Er hat neben seiner Demenz eine Schizophrenie. Fünf Minuten nach meinem Arbeitsbeginn forderte er mich schon heraus. Nach einer Tasse Kaffee und einem Dessert war er wieder zufrieden.
Auf der Oase gibt es derzeit Bewohner, die stundenlang singende, manchmal auch rufende Geräusche machen. Als Aussenstehender weiss man jeweils nicht, ob sie es aus Freude oder Unzufriedenheit tun. Wie gehen Sie damit um?
FM: Bei der Dame ist es eher ein Verlangen nach Aufmerksamkeit. Wenn sie lauter wird, können es auch Schmerzen sein. Beim Mann sind wir nicht so sicher. Wenn wir zu ihm gehen und ihn beruhigen, wird er leiser und wirkt zufriedener. Sobald wir weggehen und uns um andere Bewohner kümmern, wird er wieder lauter.
Wie definieren Sie schwieriges oder herausforderndes Verhalten?
SS: Die Bewohner unserer Abteilung sind für Entlastungsaufenthalte von einigen Tagen oder Wochen bei uns. Die meisten sind körperlich in recht gutem Zustand. Sie wissen, dass etwas nicht stimmt und wollen nach Hause.
Es ist für uns eine grosse Herausforderung, ihnen zu vermitteln, warum sie bei uns sein müssen. Ich versuche sie so gut wie möglich zu unterstützen, indem ich ihnen sage: Zusammen schaffen wir es!
Nehmen die Bewohner Ihre Hilfe an?
SS: Die meisten tun es. Andere lassen sich nicht helfen und werden aggressiv.
Nehmen die Bewohner der Oase die Unterstützung der Pflegenden an?
FM: Bei uns besteht die Schwierigkeit, dass die meisten Bewohner nur noch nonverbal kommunizieren können. Es ist nicht einfach, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen. Man muss auf ihre Körpersprache achten.
So gesehen liegt die Schwierigkeit mehr in Ihrer Aufgabe als im Verhalten der Bewohner…
FM: Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Aufmerksamkeit, die wir den Bewohnern geben. Der Bewohner mit Schizophrenie, der weniger Pflege braucht, merkt, dass wir den anderen Bewohnern mehr Zeit widmen. Er zeigt immer wieder, dass er da ist und Aufmerksamkeit braucht – unter anderem, indem er uns oder andere Bewohner am Arm packt.
SS: Bei uns kommt es stark auf die wechselnde Zusammenstellung der Bewohner an. Es gibt Bewohner, die sich untereinander nicht verstehen. Ein Bewohner schimpft manchmal in unangepassten Worten, und die anderen regen sich darüber auf – es ist schwierig, weil wir ihn ja nicht isolieren können. So kommt es sicher einmal wöchentlich zu sehr schwierigen Situationen.
Es gibt auch Bewohner, die sehr schnell wütend werden und die Betreuerinnen in verletzenden Worten beschimpfen. Wie reagieren Sie?
SS: Ich darf das nicht persönlich nehmen, ich weiss ja, dass es zu seinem Krankheitsbild gehört.
Wichtig ist, dass ich solche Situationen mit dem Team bespreche. So finden wir eine Lösung, sind abgesichert und können die Distanz wahren.
Eine Ihrer Kolleginnen sagt, dass die verletzenden Worte sie bis in die Träume verfolgen…
SS: Ich versuche mich abzugrenzen. Wenn das Verhalten sehr schwierig ist, kann ich es im Rapport oder an den Teamsitzungen ansprechen. Dort fragen wir jeweils, ob jemand etwas los werden will. Manchmal spreche ich auch zuhause darüber. Aber bis jetzt ist es mir gelungen, die professionelle Distanz zu wahren.
FM: Ich bin seit sieben Jahren im Beruf und habe gelernt, damit umzugehen. Im Sanitätsdienst erlebte ich Schlimmeres als in der Sonnweid. Zum Beispiel, als ein Mann am Herbstfest in Rosenheim mit einer zerbrochenen Mass Leute bedrohte.