Grüne Inseln, Stühle unter Sonnenschirmen, eine freundliche, offene Atmosphäre – fast wirkt die Skizze des neuen Projekts für Demenzkranke in Australien wie ein moderner Dorfplatz. Neben einem Café soll es einen Supermarkt, ein Kino, einen Schönheitssalon und angelegte Gärten geben.
Die rund 90 Demenzkranken, die in etwa 18 Monaten in den neuen Komplex in Hobart einziehen werden, sollen das «echte» Leben so authentisch wie möglich vorgegaukelt bekommen.
Zahl der Demenzkranken steigt
Deswegen wird sich das Pflegepersonal, das sich um die Bewohner in den insgesamt 15 Wohnhäusern in dem abgesperrten Dorf kümmert, auch ganz alltäglich anziehen. Laut der Pressemitteilung der Pensionskasse Hesta, die in das Projekt investiert, sollen die Angestellten als sogenannte «Home Makers« auftreten: Sie sollen helfen, dass die Demenzkranken sich so wohl wie nur möglich fühlen.
Laut Hesta ist Demenz schon heute die zweithäufigste Todesursache in Australien. Ohne einen medizinischen Durchbruch könnten bis 2056 rund 1,1 Millionen Australier daran erkrankt sein, so schätzt man. Die derzeitige Bevölkerung von knapp 25 Millionen soll bis dahin laut des australischen Amts für Statistik zwar auf 30,9 bis 42,5 Millionen Menschen anwachsen, doch damit wären immer noch zwischen 2,6 und 3,6 Prozent der Bevölkerung betroffen.
Und schon jetzt ist die Situation kritisch: «Die Nachfrage nach Demenzpflege übersteigt das verfügbare Angebot an Serviceleistungen und Einrichtungen in Australien», sagte Hesta-Chefin Debby Blakey.
Auch nachts ein Toast
Das neue Dorf in Australien will an die Erfolge einer ähnlichen Einrichtung in den Niederlanden anknüpfen, die Nachahmer in Deutschland und bald auch in der Schweiz gefunden hat.
Das Dorf De Hogeweyk im kleinen Ort Weesp in der Nähe von Amsterdam soll die Lebenserwartung der Patienten erhöht haben. Ausserdem sollen die Demenzkranken, die in der realistischen Kulisse leben, im Alltag weniger Medikamente benötigen.
Während die Bewohner des niederländischen Dorfes aus verschiedenen Lebenswelten auswählen können – von rustikal über urban bis hin zu indonesisch, wollen die Australier die Bewohner eher nach Interessen und Gemeinsamkeiten gruppieren.
Auf der anderen Seite gebe es aber auch Künstler und kreative Menschen, die gerne ausschlafen und dafür bis spät in die Nacht aufbleiben würden. «Die zwei Lebensstile passen nicht unbedingt zueinander», sagte O’Flaherty. In dem neuen Dorf könnten die Bewohner aufstehen und ihren Tag so gestalten, wie sie wollten. «Wenn sie sich mitten in der Nacht ein Stück Toast machen wollen, können sie das auch tun.»
Der Begriff Dorf ist «fake»
Letzteres ist auch für den Schweizer Experten Michael Schmieder ausschlaggebend. Der Autor des Buches «Dement, aber nicht bescheuert. Für einen neuen Umgang mit Demenzkranken», der selbst das Schweizer Demenzzentrum Sonnweid aufgebaut hat, hält es grundsätzlich für eine gute Idee, wenn sich Demenzkranke frei bewegen und entfalten können.
«Die Menschen nach einem Normalitätsprinzip zu betreuen, ist richtig, mich stört aber die Begrifflichkeit Dorf», sagt er. Denn das sei einfach nur «fake». «Unabhängig von der Demenz haben wir nicht das Recht, unwissende Menschen zu belügen.» So sollte es beispielsweise keine Bushaltestelle geben, an der nie ein Bus kommt. «Es ist kein Hotel und es ist kein Dorf – es ist ein Heim – und daran ist grundsätzlich auch nichts Schlechtes.»