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Demenz neu sehen (4)

Mehr sehen als die Krankheit

Vor einigen Jahren wurde bei Brigitte Tast ein Parkinsonsyndrom festgestellt. Trotz Hürden hat Brigitte ihr Kunstprojekt »Durch Schwarz und Weiß« vorangetrieben, unterstützt durch ihren Ehemann. Ihre Fotografien überzeugten die Jury des Fotowettbewerbs »Demenz neu sehen«.

Von Brigitte Tast, Manuel Stark

Mein Mann Hans-Jürgen und ich arbeiten seit langer Zeit zusammen. Wir haben immer gesagt, dass es bei diesen Arbeiten zwei Spuren geben muss, die Bildspur und die Textspur. Manchmal sollen sich die beiden Ebenen treffen und andermal sollen sie weit auseinandergehen. Wenn der Text nur beschreibt, was das Foto ohnehin zeigt, wäre es doch ein bisschen zu simpel.

Es gibt im Fotoband »Durch Schwarz und Weiß«, zu dem auch meine Beitragsbilder für den Desideria-Fotografiepreis gehören, das Foto einer Scheune mit halb abgerissenem Dach. Jetzt kann man sagen, diese Scheune ist weit weg, wir haben keinen Bezug zu diesem Bauwerk. Auf der anderen Seite: Wir sind auf dem Weg zum Kardiologen genau dort vorbeigekommen.

Fotopreis »Demenz neu sehen«

Das Leben mit Demenz aus einer neuen Perspektive wahrnehmen: Dazu veranstaltete der Münchner Verein Desideria 2024 zum zweiten Mal den Fotowettbewerb »Demenz neu sehen«. 78 Fotograf:innen haben besondere Augenblicke eingefangen. Diese Artikelreihe beleuchtet die Gewinner:innen der vier Kategorien Profi, Amateur, Nachwuchs und Sonderpreis.
📸 Infos zum Fotopreis

Ich spiele bei diesem Projekt mit zwei Zeitebenen: Es gibt die erlebte Gegenwart und es gibt Bilder, in denen es eher darum geht, Vergangenes zurückzuholen. Das Thema der Zeit und Vergänglichkeit rückt ja auch für mich immer näher, gerade wenn ich merke, wie viel ich vergesse.

Ein anderes wesentliches Motiv in meinen Projekten ist die Verführung und der Blick auf die weibliche Sexualität. Im Alter und in der Krankheit spürt man sein eigenes Herauswachsen aus der Zeit. Daher soll »Durch Schwarz und Weiß« auch den Wunsch ausdrücken, beweglich zu bleiben. Das ist ein zentraler Gedanke.

Hans-Jürgen und ich sind für den Fotoband mit dem 49-Euro-Ticket gereist. Wo wir ausgestiegen sind, sind wir auf Fremde und Unbekanntes zugegangen.

Es gab aber auch einen geplanten Anteil, wo ich wusste, für dieses Thema möchte ich etwas ganz Bestimmtes finden. Als wir beispielsweise wussten, dass sich das Thema Verführung wiederholen wird, haben wir recherchiert: Wo in den jeweiligen Zielorten unserer Reisen gibt es Evas? Die haben wir dann besucht. Es ist eine Mischung.

Durch meine Krankheit hat sich auch meine Arbeit in ihrer Bewegung verändert: Hans-Jürgen drückt inzwischen häufiger für mich den Auslöser. Es gibt Tage, an denen meine Hand zittert, sodass ich nur mit Stativ und Drahtauslöser fotografieren kann.

Meine Krankheit ist eine, die nicht so richtig einzuschätzen ist. Es gibt bessere und schlechtere Tage. Das letzte Wort, etwa darüber, wie ein Bild aufgebaut werden muss, bleibt bei mir.

Dass ich inzwischen immer häufiger auch mal etwas aus der Hand gebe, macht mir nichts aus.

Im Gegenteil. Das hat für mich nichts mit Verlust oder Schmerz zu tun; ein Schlagwort, das sich eigentlich zu all meinen Arbeiten anbringen ließe, wäre das Teilen. Ich habe Freude daran, Dinge zu teilen, vielleicht bin ich da ein Kind der Siebzigerjahre. Ich bin dankbar, dass mein Fotoband im Wir entstanden ist.

Ich habe sehr lange überlegt, ob ich am Wettbewerb von Desideria teilnehme. Da gab es die Angst, dadurch nur noch als eine Kranke gesehen zu werden, als eine Patientin. Das wäre falsch. Für das ganze Buchprojekt habe ich mich gefragt: Was von meiner Krankheit bringe ich ein? Und auf welche Weise? Aber sie gehört eben dazu, sie ist ein Teil von mir. Es wäre falsch, das auszulassen.

Hans-Jürgen Tast

Brigitte Tast I Kategorie: Sonderpreis
Ich habe sehr lange überlegt, ob ich am Wettbewerb von Desideria teilnehme. Da gab es die Angst, dadurch nur noch als eine Kranke gesehen zu werden, als eine Patientin. Das wäre falsch. Für das ganze Buchprojekt habe ich mich gefragt: Was von meiner Krankheit bringe ich ein? Und auf welche Weise? Aber sie gehört eben dazu, sie ist ein Teil von mir.
Brigitte Tasts Projekt »Durch Schwarz und Weiß« erscheint im Herbst 2024 als Buch.
👉 Hier kommst du zur Website von Brigitte Tast


Wir danken unserem Partner Desideria e.V. für die schöne Idee und die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Dieses Wortlautprotokoll wurde von Manuel Stark verfasst.