Goldsuppe und viel Magie: Großmutter Bärbel - demenzjournal.com
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Demenz neu sehen (2)

Goldsuppe und viel Magie: Großmutter Bärbel

Leben in einem Mehrgenerationenhaus: Für viele Menschen ist dies ein Idealbild des Älterwerdens. Fotopreisträger Daniel Huss begleitet seit zehn Jahren seine demenzkranke Großmutter Bärbel, die in einem solchen Haus wohnt. Seit dem Ukrainekrieg ist zusätzlich eine Flüchtlingsfamilie eingezogen.

Von Daniel Huss, Manuel Stark

Meine Oma Bärbel war immer da. Sie hat mit kindlicher Fantasie mit uns gespielt. Mit Bärbel zusammen zu sein, das hatte etwas von Magie. Magisch, das war auch ihre Wohnung: Alles war voller Bilder und Edelsteinen und goldener Metallkunst. Sie hat sich zu Hause mit einer sehr bildhaften Welt umgeben und Gold war ihre Lieblingsfarbe.

Bärbel, das ist für mich deshalb auf jeden Fall auch Goldsuppe. Andere kennen das als Kürbissuppe, aber Bärbel hat für uns Goldsuppe gekocht. Wenn jemand von uns krank war, kam sie und hat uns gepflegt und uns Geschichten erzählt.

Im Alltag hat Bärbel uns zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Einmal waren zwei Freunde dabei, sie hätte die beiden in Kleinmachnow abladen sollen, aber wir haben uns so mit Bärbel verquatscht, bis wir bei uns zu Hause waren. Die beiden Jungs auf der Rückbank meinten dann: »Ähm, Entschuldigung, aber wir müssen auch noch nach Hause.«

Fotopreis »Demenz neu sehen«

Das Leben mit Demenz aus einer neuen Perspektive wahrnehmen: Dazu veranstaltete der Münchner Verein Desideria 2024 zum zweiten Mal den Fotowettbewerb »Demenz neu sehen«. 78 Fotograf:innen haben besondere Augenblicke eingefangen. Diese Artikelreihe beleuchtet die Gewinner:innen der vier Kategorien Profi, Amateur, Nachwuchs und Sonderpreis.
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Bis auf diese Fahrt gab es bei Bärbel nie Chaos, alles war geordnet und akkurat. Sie war Leiterin eines Heims für Menschen mit Behinderung. Sie war gut im Organisieren, darin Verantwortung zu übernehmen und sich zu kümmern. Zu ihrem siebzigsten Geburtstag wollte sie genau das: eine riesige Feier organisieren. Dann hat sie ihre Zimmerschlüssel vertauscht und im Kühlschrank haben wir Toilettenpapier gefunden.

Die Diagnose kam erst drei Jahre später. Sie konnte ja noch bis weit in die Demenz hinein eloquent über Kunst und Kultur reden. Der ausschlaggebende Punkt, sie doch zu uns nach Mainz zu holen, war, dass sie ihre Medikamente nicht mehr allein einnehmen konnte. Da war sie 74. Meine Mutter hat das über Jahre allein gestemmt.

Meine Kamera wurde zum Impulsverstärker, mich meiner Familie und Bärbel immer wieder zuzuwenden.

Und bei Besuchen war klar, dass ich im Alltag mithelfe. Die Wohnung meiner Eltern wurde so zu einer Art Mehrgenerationen-WG, in der alle zusammen geholfen haben. Auch Bärbel hat versucht, mitzuhelfen: Sie ist den ganzen Tag durch die Wohnung gelaufen und hat alle Bettdecken gefaltet. Sie konnte sich stundenlang in einem Zimmer aufhalten, um ihre Faltgeschenke immer neu zu richten.

In den späteren Phasen, als Bärbel pflegebedürftig war, haben wir ihr auch bei der Körperhygiene geholfen. An einem Tag hat sie mich weggestoßen, als wäre ich ein Fremder. Das hat mir weh getan. Es kam aber auch wieder eine Zeit, da hat sie ihren Kopf auf meine Schulter gelegt oder andere Gesten gezeigt, durch die ich gespürt habe: Sie hat wieder Vertrauen.

Bärbel war weit fortgeschritten in ihrer Demenz, da wurde unser Mehrgenerationenprojekt multikulturell: Eine ukrainische Familie ist eingezogen. Die Mutter, Ludmilla, hat bei der Pflege geholfen. Ihre Tochter, Maria, hat Bärbel oft geschminkt und ihr die Haare schön gemacht.

Meine Bärbel hat eine Veränderung durchgemacht: von der Person, die für alle Verantwortung übernimmt, zu einer Person, die von allen betreut werden muss. Aber ihre Offenheit für Spaß, das ist bis zum Schluss geblieben.

Bild Terry Kraatz

Daniel Huss I Kategorie: Nachwuchs
Nachwuchs-Fotograf Daniel Huss dokumentierte über zehn Jahre mit der Kamera das Leben von Großmutter Bärbel. Sie zog 2014 aufgrund ihrer Demenzdiagnose in die Familien-WG. Daniel Huss studiert seit 2020 an der Filmakademie Baden-Württemberg.
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Wir danken unserem Partner Desideria e.V. für die schöne Idee und die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Dieses Wortlautprotokoll wurde von Manuel Stark verfasst.