Eine Freundschaft, die auch die Demenz übersteht - demenzjournal.com
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Demenz neu sehen (3)

Eine Freundschaft, die auch die Demenz übersteht

Als Dimitrij nach Deutschland kommt, steckt er in einer Sinnkrise. Dann trifft er den unkonventionellen Axel. Die tiefe Freundschaft der beiden hält auch an, als Axel an Demenz erkrankt. Davon zeugen die Bilder, die die Jury des Fotowettbewerbs »Demenz neu sehen« berührt haben.

Von Dimitrij Rudmann, Manuel Stark

Mit elf Jahren bin ich nach Deutschland gekommen, aufgewachsen bin ich in Russland. Ich kam durch bis zum Abitur und habe ein Physikstudium begonnen. Das hat nicht zu mir gepasst und auch privat ging es mir schlecht, aber ich hatte niemanden, mit dem ich ehrlich hätte reden können.

Also habe ich mich in Hannover für den Studiengang Fotojournalismus beworben. Auch dieses Studium habe ich später abgebrochen – heute arbeite ich im öffentlichen Dienst – aber durch die Aufnahmeprüfung habe ich Axel kennengelernt. Das Thema war: Plagiat.

Durch Plagiat kam ich auf Doubles, auf Doppelgänger, und Axel war Charlie Chaplin-Darsteller. Schon beim ersten Treffen bin ich den halben Tag lang bei ihm geblieben.

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📸 Infos zum Fotopreis

Axel war Heimzögling, das ist nicht dasselbe wie ein Migrantenkind zu sein, aber beides war mit einem gewissen Mangel verbunden. Vielleicht habe ich mich deshalb von ihm so verstanden gefühlt, auch ohne viel erzählen zu müssen. 2018 sind Axel und ich zusammengezogen.

Nach wenigen Wochen gab es erste Gerüchte: Da gäbe es so ein merkwürdiges Paar.

Sätze, die so ein Unerwünscht-Gefühl auslösen. Und Axel ist so ein feuriger Typ, dem war das sowieso zu eng, er passte da nicht rein. Wir sind aus ähnlichen Gründen einige Male umgezogen, aber von da an immer gemeinsam.

Dann kam die Demenz. Mal hat er sein Portemonnaie vergessen. Dann ist er ohne Schlüssel nach draußen. Bis er sich sogar in der Wohnung nur noch schlecht zurechtgefunden hat. Ich habe ihn angezogen und ihm gezeigt, wo die Toilette ist.

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Später habe ich angefangen, ihm das Essen in den Mund zu legen, weil er nicht mehr mit Besteck umgehen konnte. Das letzte halbe Jahr habe ich vor allem aus dem Homeoffice gearbeitet und war auch während er geschlafen hat in der Nähe. Mit der Demenz ist die Sprache verschwunden, sicher hat ihn das frustriert. Er hat ein bisschen um sich geschlagen.

Aber es gab bis zum Schluss auch positive Erlebnisse. Zum Beispiel ist da die Philharmonie in Köln, da gibt es immer mal wieder Konzerte für Menschen, die an Demenz erkrankt sind. In Duisburg gibt es ein Museum, das regelmäßig Führungen für Demenzerkrankte durchführt. Oder wir haben in Düsseldorf eine Gruppe besucht, schwule Männer mit Demenz. Eigentlich sind wir beide nicht schwul, aber die Fähigkeit, Atmosphäre zu erfassen, blieb Axel bis zum Schluss. Wegen der guten Atmosphäre sind wir einmal die Woche dorthin.

Wie oft wir zuhause aneinandergeraten sind, das hat sich mit der Zeit extrem gehäuft. Dazu haben wir in der zweiten Etage gewohnt. Es gab keinen Aufzug, aber Axel wurde schwächer und schwächer. Das ging nicht mehr. Ich wollte Axel auf keinen Fall in irgendein Heim abgeben, auf keinen Fall die Erinnerungen an die Kindheit wecken.

Als ich ihn doch in ein Heim geben musste, hat mich das zerrissen. Aber ihn dann dort zu erleben, wie zufrieden er gewirkt hat, wie sehr er gegrinst und sich gefreut hat, als ich zu Besuch gekommen bin, das hat mich versöhnt. Manchmal saßen wir einfach in seinem Zimmer und er hat meine Hand gehalten. Diese Nähe zu spüren, tat mir gut.

Bild Dimitrij Rudmann

Dimitrij Rudmann I Kategorie: Amateur
Mit elf Jahren bin ich nach Deutschland gekommen, aufgewachsen bin ich in Russland. Axel war Heimzögling, das ist nicht dasselbe wie ein Migrantenkind zu sein, aber beides war mit einem gewissen Mangel verbunden. Vielleicht habe ich mich deshalb von ihm so verstanden gefühlt, auch ohne viel erzählen zu müssen.


Wir danken unserem Partner Desideria e.V. für die schöne Idee und die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Dieses Wortlautprotokoll wurde von Manuel Stark verfasst.