Nicht nur die Ärzte, auch Patienten bringen mitunter erheblichen Stress für die Pflegekräfte. In Ihrem Text „Ungepflegt“, den Sie zunächst bei einem Poetry Slam vorgetragen haben, beschreiben Sie, wie Sie als Pflegerin bespuckt und belästigt wurden.
Das ist leider immer wieder vorgekommen, gerade wenn Patienten kognitiv eingeschränkt waren. Am Anfang meiner Ausbildung war ich in so einem Moment schockiert. Manchmal war ich sogar kurz davor loszuheulen und musste mich einen Augenblick zurückziehen. Als ich mehr Erfahrung hatte, konnte ich schneller Grenzen setzen, den Patienten klar zeigen, dass so etwas nicht geht.
Wurden Sie während Ihrer Ausbildung auf solche Situationen vorbereitet?
Nein. Ich hätte mir gewünscht, dass es dafür eine Supervision gibt, wir uns im Team darüber austauschen können. In der Pause habe ich dann schon mal einer Kollegin davon erzählt und konnte mir etwas Luft machen.
War Ihre Tätigkeit insgesamt befriedigend für Sie, trotz des Stresses?
Auf jeden Fall. Ich habe von meinen Patienten viel zurückbekommen, Dankbarkeit erfahren. Wenn ich abends nach Hause kam, wusste ich, dass ich etwas Sinnvolles gemacht habe.
Dazu fällt mir ein Satz aus Ihrem Text »Ungepflegt« ein: »Und manchmal ist eine Minute nur zuhören das größtmögliche Glück.«
Wenn man sich ein paar Minuten Zeit nimmt, mit einer Patientin freundlich redet, kann man damit schon eine kleine Welt bewegen. Das kann sogar dazu führen, dass Schmerzen tatsächlich weniger werden. Mitunter habe ich meinen Patienten geradezu angemerkt, welche Pflegekraft morgens bei ihnen im Zimmer war, ob das eine fröhliche oder eher kantige Kollegin war. Das hat sich in den Gesichtern der Patienten gespiegelt, sie waren ganz anders drauf, wenn die Pflegerin gut gelaunt auf sie zugekommen ist. Es ist unglaublich, wie viel eine positive Ansprache ausmacht.
buch »EIn Wenig mehr wir – texte über menschlichkeit«
Leah Weigand (27) stammt aus einem Dorf in Mittelhessen. Nach einer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin begann sie 2022 ein Medizin-Studium. Nebenbei schreibt Weigand Texte und tritt seit 2017 regelmäßig als Poetry Slammerin auf, wofür sie mehrere Auszeichnungen bekam. Ihr erstes Buch »Ein wenig mehr Wir – Texte über Menschlichkeit« ist soeben im Knaur Verlag erschienen. Die Autorin lebt in Marburg.
Wie weit ist eine individuelle Pflege nach Ihren Erfahrungen im Krankenhaus-Alltag überhaupt möglich?
Das ist sehr unterschiedlich von Station zu Station. In manchen Abteilungen war es Fließbandarbeit, man geht von Zimmer zu Zimmer, misst Blutdruck, Temperatur etc. Da lernt man einen Menschen gar nicht kennen, das ist dann der Patient in Zimmer 23 am Fenster. Auf anderen Stationen, in denen ich weniger Zimmer betreuen musste, zum Beispiel auf der Intensivstation, hatte ich für jeden mehr Zeit.
Können Sie von einer Begegnung erzählen, die Sie besonders berührt hat?
Ich habe eine Zeitlang eine ältere Dame betreut, die morgens, wenn ich Frühdienst hatte, immer schon auf mich wartete. Sie strahlte mich an und sagte: »Der Engel ist wieder da.«
Wie viel Humor ist im Umgang mit den Patienten möglich?
Wenn ich mit einem lustigen Spruch in ein Zimmer kam, konnte ich schon mal ein Lächeln in ein Gesicht zaubern. Mitunter musste ich mit Patienten lachen, gerade wenn sie selbstironisch waren und sich über sich selbst und das Altwerden kaputt lachten. Einmal habe ich einem älteren Mann bei der Körperpflege geholfen und ihm die Socken ausgezogen, dabei fielen viele Hautschuppen von seinen Beinen ab. Er hat dann gesagt: »Oh, ein Schneegestöber.« Da mussten wir beide lachen. Humor nimmt eindeutig Stress raus.