Samantha Zaugg und Ludwig Hasler im Gespräch zur Präsentation ihres Buches «Jung & Alt».
PD
Die 27-jährige Journalistin und Künstlerin Samantha Zaugg (Z) und der 77-jährige Philosoph, Redner und Autor Ludwig Hasler (H) trafen sich zum Gespräch über Wohnwände, Würste und Häuschen für die Alten.
Der Grund für das Gespräch der jungen Künstlerin mit dem alten Philosophen: Die beiden stellten ihr Buch «Jung & Alt» vor. Entstanden ist es aus einem Briefwechsel in der «Schweiz am Wochenende», in Form eines Wortwechsels. Nun lauschen wir, was sie sich zu Themen wie «Wurst», «Wohnen im Alter» oder «Partnerschaft» zu sagen haben. Dazu zogen sie abwechselnd Zettel aus einem Glas, ohne zu wissen, was sie erwartet. Und schon der erste Begriff hatte es in sich.
NEID
H: Das ist mir total fremd.
Z: Ach so, ne, mir nicht.
H: Ich habe gerne Leute um mich, die zwar irgendwie beneidenswert sind, die aber etwas mit Volldampf machen und die Erfolg haben. Ich mache ja seit Jahrzehnten alles, um Menschen zu fördern oder in Form zu bringen. Und das tue ich nicht aus reiner Menschenliebe, sondern, ich nenne das meinen reziproken Altruismus.
Z: Was heisst reziprok?
H: Das bedeutet «zurückwirkend»; wenn ich möglichst alle dazu bringe, dass sie in Form sind, vergnügt, guter Laune, dann habe ich sehr viel davon. Und das finde ich viel lebenssteigernder als Neid.
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Z: Letzthin sagte eine Freundin: «Manchmal bin ich neidisch», und ich dachte, wow, man ist vielleicht neidisch, aber man sagt es nicht. Es hat auch etwas Befreiendes, wenn man zugeben kann, dass man neidisch ist, dann ist es nicht mehr so gross. Dann ist es eine normale Emotion statt etwas in sich Verstecktes, das man nie rauslassen darf. Ich habe beschlossen, ich sage, wenn ich neidisch bin.
WURST
H: Als Kind hatte ich nie eine ganze Wurst auf dem Teller. Wenn du immer nur ein Stück Wurst auf dem Teller hast, willst du endlich einmal eine ganze Wurst. Das ist entbehrungslogisch, dass man das will. Heute bin ich viel zurückhaltender, natürlich auch vernunftgeleitet.
Z: Das Thema «Wurst» habe ich erfunden, denn da steht gar nicht Wurst auf dem Zettel, sondern «Nachsicht». Doch ich sage auch etwas zu Würsten. Ich esse ja kein Fleisch, finde aber Wurst ein total schlaues Konzept, denn es wird alles verwertet. Es sind die Reste der Reste, gar Abfälle, und es wird etwas total Leckeres daraus gemacht, was die meisten Leute sehr gerne essen. Lustig ist ja: Menschen, denen Fleisch nicht schmeckt, die mögen Würste, weil es nicht mehr wie Fleisch oder wie ein Bein aussieht.
WOHNEN IM ALTER
H: Für meine Generation gilt ja der Mythos der Häuslichkeit. Das stammt aus der Industriewelt des 19. Jahrhunderts, das heisst, draussen wird es düster, also zieht man sich in seinen eigenen Kokon zurück. Walter Benjamin hat es sehr schön als «das Etui des Privatmannes» bezeichnet.
Und dann stopft man das Haus oder die Wohnung voll mit schönen Dingen und – verkümmert.
Das ist das Problem. «Schön ha» («Es schön haben»), nennen wir das in der Schweiz, «mir händs schön», und am Ende gehen wir auch nicht mehr raus. Das haben wir uns selber eingebrockt, weil wir darauf aus waren – verständlicherweise –, es auch einmal schön zu haben, mal eine eigene Wohnung, mal eine Wohnwand zu besitzen.
Z: Das mit der Wohnwand kommt wieder!
H: Hast du schon eine?
Z: Nein, meine Wohnung ist viel zu klein dafür. Zum Wohnen gibt es eine schöne Referenz von Virginia Woolf: «Ein Zimmer für sich allein». Ihr Alten habt eure Häuschen und die schön eingerichtet, und für uns Jüngere sind die Mieten so absurd teuer, man kann sich gar nicht mehr ein eigenes Zimmer einrichten. Was aber wichtig ist für die Emanzipation.
H: Ich hätte auch noch ein schlaues Zitat von Michel de Montaigne.
Z: Wer ist das?
H: Ein Uralter, ein Philosoph. Er hat gesagt: «Der Mensch braucht ein Hinterzimmer, in dem er ganz für sich allein ist.» Das wäre also analog zu Virginia Woolf, in dem er so lebt, als hätte er keine Familie, keine Freunde, keine dieser individuellen Reaktionen.
Z: Hast du so was?
H: Ja.
PARTNERSCHAFT
Z: Es gibt ja Paare, die sagen, man muss befreundet sein, und andere behaupten, man muss das trennen.
H: Da ich total analog aufgewachsen bin, war die sogenannte Partnerwahl extrem mühsam. Die Auswahl war minim, und bis mal etwas passierte, dauerte es ewig. Das gab der Partnerschaft ein unglaubliches Gewicht, ein fast unerträgliches Gewicht. In meiner Jugend erwartete man auch, dass das erste Anbändeln dann Ewigkeitsgeltung hatte.
Z: Heute ist die Partnerwahl noch viel extremer, die muss ja alles sein: Man muss sich gegenseitig inspirieren, man muss sich aushalten, man muss den Haushalt machen, man muss sich attraktiv finden, man muss ein tolles Sexleben haben, reisen, man muss alles mit dem Partner machen. Ich weiss nicht, was besser ist. Allerdings: Daten auf dem Dorf, wie du es erzählst, stelle ich mir zäh vor. Mit der einen Hälfte war man verwandt, und die andere Hälfte kannte man schon!
Dieser Beitrag erschien im Herbst 2022 in der Zeitschrift «Einsichten» des rüffer & rub Verlags in Zürich. Wir bedanken uns bei der Redaktion für die Gelegenheit zur Zweitverwertung.
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