alzheimer.ch: In Ihrem Buch «Im Demenzlabyrinth» zeigen Sie die Zwiespältigkeit einer Demenzerkrankung. Wir sehen die Verlorenheit und Trauer des erkrankten Mannes, es gibt aber auch schöne und poetische Bilder. Welche Seite überwiegt bei Ihrer Arbeit mit Menschen mit Demenz?
Albin Zauner: Es freut mich, dass Sie die positive Seite auch wahrnehmen. Ich erhielt Rückmeldungen, das Buch sei schwere und traurige Kost. Jetzt habe ich manchmal das Gefühl, dass ich diese beschaulichen und kontemplativen Momente ein bisschen mehr hätte darstellen sollen.
Demenz ist eine schwankende Waage. Ich erlebte erschütternde Momente, aber auch viel Bereicherung. Diese Bereicherungen gab es vor allem, wenn ich mit der Kommunikation an die Grenze kam und herausgefordert war. So kam es zu subtilen Kontakten, aus denen viel mehr entstand als die üblichen Floskeln.
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Auf dem ersten Bild Ihrer Erzählung sehen wir ein Regal, das scheinbar ordentlich mit allerlei Gegenständen gefüllt ist. Aber die Ordnung macht das Chaos schlimmer …
Bei genauem Hinsehen sieht man Gegenstände, von denen man nicht weiss, wozu sie da sind. Wenn man Sachen ordnet, die nicht definierbar sind, wird die Ordnung fragwürdig.
Zur Person
Albin Zauner, geboren 1964 in Innsbruck, lebt als Kunsttherapeut und freischaffender Künstler in Dorfen bei München. Er studierte Malerei und Bildnerisches Gestalten und Therapie an der Akademie der bildenden Künste in München. Als Kunsttherapeut malte er 15 Jahre lang mit Menschen mit Demenz. Derzeit arbeitet er als Kunsttherapeut im kbo-Isar-Amper-Klinikum in der Akutpsychiatrie. www.zauneralbin.de
Viele Menschen mit Demenz versuchen ausdauernd, Dinge zu ordnen und zu sortieren. Haben Sie dies auch wahrgenommen bei Ihrer Arbeit als Kunsttherapeut?
Das Bedürfnis nach Strukturierung erlebte ich stark. Ich begleitete die Menschen jeweils von der Station ins Malatelier. Wenn sie zur Schwelle kamen, schienen sich viele zu fragen: Was wird das? Was passiert jetzt mit mir? Wenn in dieser Situation Stifte, Pinsel oder Schachteln da waren, sortierten sie diese neu. Manche von ihnen versanken sehr lange in diese Tätigkeit. Oder sie blätterten fast endlos in den Vorlagen, die ich in einer Kiste lagerte. Sie bemühten sich um eine Struktur, die sie verloren hatten.
Sind Sie selber ein ordentlicher Mensch?
Mein Sternzeichen ist Jungfrau, aber auf meinem Zeichentisch ist ziemlich viel Chaos. Es gibt gewisse Bereiche, in denen ich ein sehr starkes Bedürfnis nach Struktur habe.
Sie erzählen die Geschichte eines Schriftstellers, der an einer Demenz erkrankt. Für einen professionelle Denker wie ihn muss der Verlust besonders schlimm sein.
Genau, darum geht es ja auch bei Goethes Faust. Meine Geschichte ist ein Zacken schärfer als die Tragödie von Faust, weil der Verlust von geistigen Schätzen neurobiologisch bedingt und sehr elementar ist. Als Kunsttherapeut begleitete ich hoch gebildete Menschen, aber ein Schriftsteller war nicht dabei.
Die Anregung zu meinem Buch kam eher von Tilman Jens, der in «Demenz: Abschied von meinem Vater» die Erkrankung seines Vaters Walter Jens dokumentierte. Das Buch beschäftigte mich, auch die dadurch ausgelöste hitzige Debatte mit gravierenden Vorwürfen bis hin zum Vatermord.
Sie ergänzen die Zeichnungen in Ihrem Buch mit lyrischen Textfragmenten. Wie ist es dazu gekommen?
Lyriker verkünden mehr als nur Nachrichten, sie loten die Grenzen der Sprache aus. Insofern gibt es Berührungspunkte zur Kommunikation von Menschen mit Demenz. Nelly Sachs oder Paul Celan, deren Texte ich unter anderem zitiere, machten im Holocaust traumatische Erfahrungen. Solche schmerzlichen Verlusterfahrungen wollte ich in meinem Buch zur Sprache bringen.