«Neulich spazierte sie alleine zum Busskirch.» Frau D. tut so, als ob es nie anders gewesen wäre. «Natürlich, zum Busskirchli reicht es noch gut!» Nicht nur Lebensfreude und Unternehmungslust sind grösser geworden. Im Gespräch wirkt sie wacher und präziser als im Frühjahr.
Dass sie eine Demenz hat, macht sich vor allem am schlechten Ultrakurzeitgedächtnis bemerkbar. Manchmal sagt sie in zwei Minuten viermal den fast gleichen Satz.
Wenn man mit Frau D. über ihren Alltag redet, blickt sie immer wieder in ihre Agenda, die stets offen vor ihr auf dem Tisch liegt. Und wenn die Agenda ihr keine schlüssigen Erinnerungshilfen liefert, sucht sie den Blickkontakt zu ihrem Sohn. Oft bringt er ihr Gedächtnis mit einem Stichwort oder mit einer Bemerkung wieder in Schwung. Als sie von ihren Unternehmungen berichtet, streut er das Wort «Grünfels» ein. Jetzt erzählt Frau D. munter von ihren wöchentlich zwei Besuchen in der Villa beim Joner Bahnhof.
Ist das Heim der Arbeitgeber?
Aus ihren Berichten wird nicht klar, ob sie die Tagesstätte für Menschen mit Demenz als Arbeitgeber oder Betreuungsinstitution wahrnimmt. Sie erwähnt, dass es dort viel zu tun gebe in der Küche, dass man froh sei um ihre Hilfe. Auch als Gesellschafterin sei sie gefordert, weil es sich um eine richtige «Gemeinschaft» handle. Es gebe dort zwar Leute, die nur herumsitzen und nichts sagen, «aber von denen lassen wir uns nicht stören.»
Die Verbesserung von Frau D.s Zustand hat auch eine Schattenseite: Der 85-Jährigen sind ihre Defizite wieder bewusster geworden. Im Verlauf einer Demenz gibt es die gnädige Schwelle, nach deren Übertreten die Betroffenen nicht mehr wahrnehmen, dass sie an einer unheilbaren Krankheit leiden.
Frau D. hatte diese Schwelle anscheinend bereits überschritten – und kam im Sommer wieder «zurück». In der Folge war sie phasenweise traurig.
Ihren Kindern sagte sie, dass es zu Hause zu schwierig geworden sei, und dass sie nicht mehr lange in der Wohnung bleiben könne. Seit dem Besuch eines Heimes, das ihr und ihrer Tochter überhaupt nicht gefiel, ist das Thema wieder vom Tisch.
Wenn die Gegenwart wegen des angeschlagenen Ultrakurzeit- und Kurzzeitgedächtnisses entwischt, wird die Vergangenheit wichtiger. Auf das Stichwort «Restaurant» weiss Frau D. viel zu berichten.
Ende der 1940er-Jahre arbeitete sie in einem weit herum bekannten Rapperswiler Restaurant. Der Chef und Inhaber des Hauses war eine schillernde Persönlichkeit. Frau D. berichtet, dass seine Frau, die ihm eher wie eine Mutter gewesen sei, den Laden so gut geführt habe, dass «es gelaufen sei wie verrückt.» Dann sei eine neue Serviertochter gekommen, die sich an den Mann herangemacht habe. Es habe ein grosses Durcheinander gegeben, sie (Frau D.) sei dann gegangen.