Die Therapeutin stellt mich der Gruppe vor und erzählt von meinem Wunsch, mit jemandem aus der Runde ein Interview zu machen. «Wer hätte Lust, mit Marcus zu plaudern?»
Ingrid fällt mir sofort auf. Sie wirkt lebendig, ihr ansteckendes, raues Lachen passt nicht zu ihrer zierlichen, attraktiven Erscheinung. Die 60-Jährige wurde vor drei Jahren mit der Diagnose Demenz konfrontiert.
Ich war bereits vor einer Woche hier, um die Details eines möglichen Gesprächs mit der Therapeutin zu klären; auch da hatte sich Ingrid spontan gemeldet, woran sie sich heute aber nicht mehr erinnert.
Wir ziehen uns in die Küche der Praxis zurück, trinken ein Glas Wasser und beschliessen, uns zu duzen.
alzheimer.ch: Wie geht es dir?
Ingrid: Eigentlich ganz gut, ich bin etwas nervös.
Mache ich dir Angst?
(Sie schüttelt den Kopf und lacht.) Das sehen wir dann … Mal schauen, ob das ein Krimi wird …
Ich bin auch nervös. Was macht eure Gruppe heute?
Im Moment schlafen einige, es ist Mittagspause, andere machen ein Spiel oder schauen sich Hefte an – so wie ich vorhin.
Wo wohnst du?
(Sie überlegt lange.) … nicht weit von hier.
Wie steht es mit deinem Gedächtnis?
(Sie zögert, es arbeitet in ihr.) Es kommt darauf an. Wenn ich im Stress bin, geht es nicht so gut. Dann muss ich mir selbst sagen: nur alles mit der Ruhe. …
Ich will alles immer perfekt machen, und wenn es dann gerade nicht so läuft, werde ich etwas lö-lö-lö …
Funktioniert das?
Mhhm. (Sie nickt und flüstert.) Ich sehe es auf weite Sicht hinaus … (Sie wird lauter.) Meine Augen sind schlecht, ich habe alle Brillen ausprobiert, da hilft nichts. Mir kommen immer wieder die Tränen. … Zum Glück besucht mich meine Schwester.
Wir unternehmen etwas zusammen, gehen fort , … weisst du, es kommt darauf an, wer mein Gegenüber ist. Mit ihr kann ich über alles reden. Sie nimmt mich so, wie ich bin, und fragt nicht ständig «Warum siehst du dies oder jenes nicht … ». … So etwas will ich nicht.
Wann hast du gemerkt, dass etwas nicht stimmt mit dir?
Ich bin einmal in den falschen Zug eingestiegen, in eine andere Richtung gefahren … Ich weiss nur noch «Altdorf». Diese Aussetzer begannen sich zu häufen. Ich glaube, es war meine Tochter, sie hat es auch bemerkt.
Ich ging zum Arzt, weil mir auch schwindlig war. Sie haben alles an mir untersucht … (Ihre Gedanken scheinen abzuschweifen, dann schaut sie mich traurig an.)