Als es super lief, kam der Rückschlag - demenzjournal.com
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Aus der Sicht einer Betroffenen (Teil 2)

Als es super lief, kam der Rückschlag

Für gewisse Hausärzte sind alte, gebrechliche Menschen eine dankbare Einnahmequelle. Von der üppigen Abgabe von Medikamenten profitieren Ärzte und Pharmaindustrie gleichermassen. Bild Uli Reinhardt

Die 85-jährige Frau D. lebt im Rapperswiler Südquartier und hat eine Demenz. Gegenwärtig erholt sie sich von einer Kreislaufschwäche, die einen mehrtägigen Spitalaufenthalt erforderte. Schuld daran war unter anderem eine falsche Medikation.

Frau D. konnte in den vergangenen Wochen keinen Besuch empfangen. «Meine Mutter wird schnell müde», sagt ihr Sohn.

«Am Sonntag feierte sie mit uns den Geburtstag ihres Enkels. Nach nur zwei Stunden brachte ich sie wieder nach Hause. Noch im Mai hatte sie einen sehr starken und stabilen Eindruck gemacht. Ich weiss nicht so recht, ob sie wieder zu Kräften kommt, oder ob sie einfach einen Gang heruntergeschaltet hat.»

Die 85-jährige Frau D. hat eine Demenz und wohnt alleine im Rapperswiler Südquartier. Ihre Angehörigen liessen sich nach der Diagnose vor zwei Jahren von der Stiftung RaJoVita beraten, unter deren Dach die Angebote für alte Menschen in Rapperswil-Jona zusammengefasst sind.

Morgens und abends wird Frau D. von Spitex-Mitarbeiterinnen jeweils 15 bis 30 Minuten bei der Körperpflege und im Haushalt unterstützt. Mittags liefert der Mahlzeitendienst der Ortsgemeinde Rapperswil-Jona ein Menü. Einmal pro Woche unternimmt sie mit einer Begleiterin von RaJoVita einen Spaziergang. An den Sonn- und Feiertagen kümmert sich jeweils eines ihrer vier Kinder um sie.

Willkommene Abwechslung in der Tagesstätte 

Frau D. hat an dieser Stelle (Teil 1 dieser Serie) bereits von ihrem ersten Aufenthalt in der Tagesstätte Grünfels erzählt: Es sei sehr schön gewesen, sie habe sich wohl gefühlt und neue Kontakte geknüpft. Die guten Erfahrungen bewogen die Familie D. dazu, die Angebote der Tagesklinik einmal wöchentlich in Anspruch zu nehmen. 

Frau D. genoss die Abwechslung sehr, da sie wegen ihrer Verwirrung die Wohnung nicht alleine verlassen kann und daher wenig Kontakte hat zu anderen Menschen. Seit Anfang Mai geht sie wöchentlich zweimal in die Tagesstätte. 

Lesen Sie Teil 1 dieser Serie

Aus der Sicht einer Betroffenen (Teil 1)

«Ich sehe es, kann es aber nicht sagen»

Frau D. ist 85 Jahre alt und hat eine Demenz. Angehörige, Spitex, Mahlzeitendienst und Bekannte umsorgen sie, damit sie weiterhin in ihrer Wohnung … weiterlesen

«Ich glaube, sie hat nicht realisiert, dass man es für sie macht», sagt ihr Sohn. «Sie denkt, man hole sie, weil die Tagesstätte auf ihre Hilfe angewiesen sei. Sie hat den Eindruck, man braucht sie, damit sie die alten Menschen unterhalten und in der Küche helfen kann.» Dass sie jeweils in ihrer Wohnung abgeholt werde, verstärke diesen Eindruck. 

So oder so: Die Abwechslung im Alltag und die anregenden Kontakte, die sie dort pflegt, hätten eine sehr positive Wirkung gezeigt. «Ende Mai hatten wir das Gefühl, es laufe jetzt alles super», sagt Frau D.s Sohn. Vor vier Wochen jedoch stellte sein Bruder bei seinem sonntäglichen Besuch Unerfreuliches fest. «Mutter sieht nicht gut aus, sie hat Augenringe und wirkt müde», richtete er aus.

Als Frau D. eine Woche später beim Sohn, der ebenfalls im Südquartier wohnt, zu Besuch war, zeigten sich weitere Defizite. «Sie ist sonst immer fröhlich, beteiligt sich an Gesprächen und macht Sprüche», sagt der Sohn. «Jetzt war sie ruhig und müde. Es war komisch – ich dachte, sie hat einen schlechten Tag. Also brachte ich sie nach Hause, wo sie sich um sechs schlafen legte.»

Ein schwacher Puls und Müdigkeit

Am nächsten Tag rief die Mitarbeiterin des Mahlzeitendienstes an: Frau D. liege noch immer im Bett und sei zu schwach zum Aufstehen. Die Schwiegertochter ging hin und bestellte die Hausärztin. Diese stellte einen schwachen Puls von 38 fest und sagte, Frau D. müsse im Spital gründlich untersucht werden.

Während einer längeren Überwachung des Kreislaufs zeigt sich, dass Frau D.s Puls weiterhin zu tief war und manchmal bis zu vier Sekunden lang aussetzte. Die Implantierung eines Herzschrittmachers wurde in Betracht gezogen. Weil sich der Zustand während des Spitalaufenthaltes verbesserte, verzichteten die Ärzte darauf.

Die Ärzte orteten zwei Ursachen für Frau D.s schlechten Zustand: Einerseits habe sie offenbar über längere Zeit hinweg unzureichend gegessen und getrunken. Andererseits bekam Frau D. die falschen Medikamente. Ein Befund, der ihren Sohn befremdete:

«Niemand wusste mehr, warum sie so viele Medikamente nehmen musste. Weil sie in den vergangenen Jahren zweimal den Hausarzt gewechselt hatte, war es nicht mehr greifbar, wozu sie die einzelnen Medikamente erhielt. Man übernahm einfach die Rezepte des Vorgängers, ohne sie zu hinterfragen.»

Ein Schuhkarton voller Medikamente

Der Sohn brachte am zweiten Tag des Spitalaufenthalts eine Schachtel von der Grösse eines Schuhkartons, den ihm die Spitex mitgegeben hatte, nach Uznach. Darin enthalten waren insgesamt fünf verschiedene Medikamente, von denen vier nicht mehr den aktuellen Gebrechen der 85-Jährigen entsprachen. Die Uzner Ärzte strichen die Medikamentenliste zusammen. Heute bekommt Frau D. nur noch jene Tabletten, die den geistigen Abbau verzögern und die Hirnleistung positiv beeinflussen. 

Leider ist Frau D. in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Für einige Hausärzte sind alte, gebrechliche Menschen eine dankbare Einnahmequelle. Von der üppigen Abgabe von Medikamenten profitieren Ärzte und Pharmaindustrie gleichermassen. Weil die Krankenkassen die Kosten tragen, wird dies von den Patienten kaum hinterfragt.

Kein Einzelfall ist auch die mangelhafte Ernährung von alleine lebenden alten Menschen – ob mit oder ohne Demenz. Nicht selten werden sie notfallmässig in den Spital gebracht, wo zum Beispiel Mängel an der Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen oder Wasser diagnostiziert werden. Die Angehörigen von Frau D. sind nun sensibilisiert und werden ihren Zustand noch besser beobachten. 

Viele alte Menschen und ihre Angehörigen fürchten sich vor den hohen Kosten, die Betreuung und Pflege verursachen. Ein Platz im Heim kostet je nach Pflegebedürftigkeit monatlich zwischen 6000 und 12 000 Franken. Einen Teil davon übernimmt die Krankenkasse.

Falls AHV, Pensionskasse und das private Vermögen die übrigen Kosten nicht decken können, gibt es staatliche Hilfeleistungen wie zum Beispiel die Hilflosenentschädigung. Die Beratungsstellen von RaJoVita oder Pro Senectute klären in solchen Fällen Betroffene und Angehörige auf.

Es fallen beträchtliche Kosten an

Manche Familien zögern die Umsiedlung ins Heim aus finanziellen Überlegungen hinaus. In Frau D.s Familie ist dies nicht der Fall. «Meine Geschwister und ich sind nicht auf das Erbe angewiesen. Wir sind bereit, das Ersparte unserer Mutter für eine gute Betreuung auszugeben. Wir haben aber noch immer den Eindruck, dass Mutter sich in ihrer Wohnung sehr wohl fühlt.»

Bereits jetzt fallen beträchtliche Kosten an: Die monatlich acht bis zehn Besuche der Tagesstätte schlagen mit knapp 1000 Franken zu Buche. Die Spitex stellt monatlich rund 2000 Franken in Rechnung, zirka zwei Drittel davon übernimmt die Krankenkasse. Der Mahlzeitendienst und die Reinigung der Wohnung kosten rund 600 Franken. Die Auszahlungen von AHV und Pensionskasse decken derzeit die monatlichen Kosten von über 2000 Franken. 

Schon vor Jahren hatte Frau D. gewünscht, ins Alters- und Pflegeheim Bürgerspital in der Rapperswiler Altstadt ziehen zu können, falls es zu Hause nicht mehr gehe. Diesem Wunsch ist ihr Sohn nachgekommen, indem er ihr einen Platz auf der Warteliste des Bürgerspitals gesichert hat.

Noch hat sich Frau D. von ihrer Schwäche nicht vollends erholt. Aber ihre Angehörigen hoffen, dass sie wieder zu Kräften kommt und noch längere Zeit in ihrer Wohnung leben kann.

Lesen Sie hier die Fortsetzung

Aus der Sicht einer Betroffenen (Teil 3)

«Momol, es gaht ganz gäbig!»

Frau D. ist 85 und hat eine Demenz. Im Sommer sah es noch so aus, als ob sie bald in ein Heim umziehen … weiterlesen