«Der Plan war: Die Menschen kommen, machen ihren Job und dann gehen sie wieder. Aber sie sind gekommen und geblieben.»
Ich spreche mit Sümeyra Öztürk, Mitarbeiterin bei Demenz Support Stuttgart. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt auf Demenz und Migration.
Sümeyra Öztürks Aussage, in der Max Frischs berühmter Ausspruch anklingt, trifft den Nagel auf den Kopf. Millionen so genannter Gastarbeiter sind in den Sechziger- und Siebzigerjahren nach Deutschland gekommen. Viele mit dem Ziel, irgendwann in die Heimat zurückzukehren. Doch dann kam die Familie, nicht wenige sind geblieben und alt geworden.
«Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.»
– Max Frisch (1965)
Was bedeutet es, wenn ein Mensch mit Migrationshintergrund an Demenz erkrankt? Obwohl unsere Gesellschaft mit und durch Migration lebt, wurde diese Frage lange banalisiert. Inzwischen wird sie auch von der Nationalen Demenzstrategie aufgegriffen.
In Deutschland sind schätzungsweise 120’000 Menschen mit Migrationshintergrund von einer Demenz betroffen.
Diese Zahlen werden aufgrund der demografischen Situation massiv steigen. Es braucht dringend Versorgungsstrukturen, die ältere Menschen mit Migrationshintergrund in ihren Bedürfnissen wahrnehmen. Und eine Sensibilisierung der Institutionen und des Fachpersonals hinsichtlich kultursensibler Pflege.
Daran arbeitet Sümeyra Öztürk im Rahmen des Projekts «DeMigranz». Ziel ist ein bundesweites Netzwerk, das Migranten mit Demenz unterstützt. 2017 mit der Förderung der Robert Bosch Stiftung ins Leben gerufen, verfolgt «DeMigranz» eine Bottom-Up-Strategie: Migrantenvertreter werden von Anfang an mit einbezogen, Angebote gezielt an den Bedarfen ausgerichtet.
Zwar hat die Pandemie das Unterfangen ausgebremst, doch jetzt geht es wieder voran. Mitte Januar 2021 fand das erste bundesweite Netzwerktreffen von «DeMigranz» und den Kooperationspartnern statt. Die Zahl der Partner, die regional Akteure ermitteln und koordinieren, wächst.
Besonders wichtig für den Netzwerkaufbau ist die Zusammenarbeit mit kommunalen Migrantenvertretungen. Sie schaffen den Zugang zu jenen, um die es geht. Auch dort ist Demenz oft ein Tabu.
Die Kultur beeinflusst, wie mit dem «Phänomen» umgegangen wird und wer wie pflegt. Die Einwanderungserfahrung formt diesen Umgang zusätzlich.
«In Hamburg liegt ein Schwerpunkt lokaler Treffen auf der Sensibilisierung», erklärt Sümeyra Öztürk.
Denn Pflege ist Aufgabe der Familie, vor allem der Frauen – «auch bis zur völligen Erschöpfung». Sich externe Unterstützung zu holen wird häufig als Schande empfunden.
Doch persönliche Geschichten inspirieren: «Wir zeigen Beispiele, wie die Versorgung von Menschen mit Demenz gewährleistet werden kann und die Familie immer noch daran teilhat. Das lockert das teilweise starre Festhalten.» Und inzwischen findet ein Umdenken statt. «Es ist ein Bewusstsein für den gesamtgesellschaftlichen Wandel da»
Sümeyra Öztürks Grosseltern sind im Zuge der Gastarbeitermigration nach Deutschland eingewandert. Sie werden von Frau Öztürks Eltern gepflegt, sie selbst packt ebenfalls regelmässig mit an.
«Fragt man aber die Generation meiner Eltern, wie sie später gepflegt werden will, lautet die Antwort: extern. Weil sie wissen, wie viel Kraft es kostet», sagt Sümeyra Öztürk.
Sie gehört zur dritten Generation und ist hier aufgewachsen. Die Aufgabe ihrer Generation sieht sie darin, über Hilfsangebote zu informieren und den Blick für die eigenen Bedürfnisse zu schärfen. «Denn es gibt für alles eine Lösung, man muss nur an der richtigen Stelle klopfen.