Pflegeheime sind Teil eines gelingenden Sozialraumes
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Vision für die Langzeitpflege

Pflegeheime sind Teil eines gelingenden Sozialraumes

Altersheimbewohner auf Parkbank

Gute Lebensqualität im Heim ist durchaus möglich. Bild Ulrike Rauch

Die Politik propagiert digital vor ambulant vor stationär und schafft damit eine Hierarchie, die Pflegeheime als allerletzte Station positioniert. Damit riskieren wir, einen Teil unserer Menschlichkeit aufzugeben. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass Pflegeheime zu einem Ort der Begegnung und des Lernens werden!

Eigentlich wollte ich heute über TeilGABE sprechen, aber nach einer Diskussion mit meinem Kollegen Mario Golser gestern trat etwas anderes in den Vordergrund, nämlich die Frage, was unsere Beschäftigung mit Caring Communities und Demenz für Menschen in Pflegeheimen bedeuten kann.

Wie schaffen wir es – und wollen wir es – dass die rund 100.000 Menschen, die in Pflegeheimen wohnen, nicht an den Rand der gesellschaftlichen Wahrnehmung gedrückt werden? Und damit meine ich nicht, dass wir sie nicht sehen. Wir sehen sie in den Medien indirekt als Auslöser von Krisen, Kosten und Konflikten.

Die fragwürdige Hierarchie »digital vor ambulant vor stationär«

Die Frage ist vielmehr, wie wir das Pflegeheim als ihren Lebensort gesellschaftlich verorten und welchen Platz wir ihm in unseren Planungen und Aktivitäten zuweisen. Zugegeben provokant sage ich:

Das Pflegeheim scheint das wirklich Letzte zu sein, das man als Aufenthaltsort erwischen kann, schlimmer als ein Gefängnis. Dort gibt es immerhin meistens ein Entlassungsdatum.

Sehen wir uns das doch mal an: Die Politik propagiert digital vor ambulant vor stationär und schafft damit eine Hierarchie, die Pflegeheime als allerletzte Station positioniert. Die Zugangsbedingungen sind mittlerweile so, dass man fast keine Chance mehr hat, sich für ein Leben im Pflegeheim aktiv und freiwillig zu entscheiden, es ist eine letzte Station oft ohne Zustimmung. Wie »beliebt« die stationäre Langzeitpflege bei Pflegepersonen in der Breite ist, muss ich gar nicht sagen. Und für Angehörige löst es oft eine schwere Krise aus, wenn die von ihnen betreute Person ins Pflegeheim übersiedeln muss.

Sie brechen da oft Versprechen, die sie ihren Liebsten gegeben haben (Ehepartner*innen verbinden das überhaupt mit dem Eheversprechen) und werden nicht selten von außen, auch aus der Familie angefeindet, wenn sie es »nicht mehr schaffen«. Mir ist sehr wohl bewusst, dass Menschen zuhause leben möchten so lange es geht. Dies sollten wir mit allen Mitteln und noch viel kreativer als bisher fördern. Aber wir müssen auch sehen, wie wir dies schaffen, ohne das Pflegeheim dabei zu dämonisieren.

Nun also zum Gespräch mit meinem Kollegen von gestern Abend. Mario arbeitet in einem Pflegeheim der Diakonie. Wenn er von seiner Arbeit dort spricht, sprüht er vor Begeisterung, Ideen und Wärme. Er weiß, so wie alle hier im Raum, dass Pflegeheime auch Schutz, Gemeinschaft, Aktivierung, und natürlich auch einfach ein Zuhause bedeuten.

Für meine Arbeit am österreichischen Demenzbericht habe ich ihn gefragt: »Mario, was sind Chancen und Möglichkeiten für Pflegeheime?« Ich dachte, nun würde er betreten schweigen. Doch dann ist es nur so aus ihm herausgesprudelt – und das will ich Ihnen jetzt als wirklich hörenswerte Botschaft und als Auftrag mitgeben.

Seine, unsere Vision ist: Pflegeheime sind Teil eines gelingenden Sozialraums. Das meint nicht, dass man sie duldet, sich ein wenig mit ihnen vernetzt, sondern genau das: Sie sind ein Teil des Sozialraums, schon da und real. Aber wir nehmen wir sie nun in unsere Bemühungen für die Umsetzung von Caring Communities auf?

«Information über Demenz bleibt zentral demenzjournal.com leistet einen wichtigen Beitrag dazu.»

Felix Gutzwiller, Sozial- und Präventivmedinziner, alt-Ständerat

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Dies braucht natürlich gewisse Rahmenbedingungen. Es beginnt damit, dass Pflegeheime nicht am Rand, sondern mitten in Kommunen gebaut sind. Dass sie nicht als riesige Klötze an Stadträndern kleben, sondern dass sie als kleine Einheiten eingebettet sind in völlig normale Strukturen, zum Beispiel als eingemietete WGs. Dass schon bei Planung und vor dem Bau die Bevölkerung einbezogen wird, dass man gemeinsam gestaltet und plant.

In Bad Zell wurde das Heim zum Kern der Nachbarschaft

Wie dies gelingen und eine ganz erstaunliche Dynamik auslösen kann, haben wir beim Diakoniewerk in Bad Zell erlebt. Dort wurde das Pflegeheim zum Kern der Zeller Nachbarschaft wurde. Und dann braucht es personelle Ressourcen. Menschen, die den Kontakt halten, die das Miteinander begleiten. Ein Heimleiter in Wels hat mir mit großer Begeisterung erzählt, was passiert ist, seit er Mitarbeitenden Zeit für den Kontakt mit der Kommune, mit dem »außen« gibt.

Schulen und Jugendgruppen kommen und bringen sich mit vielen Ideen ein, Firmen kommen mit kleinen Teams und beleben den Alltag, Ehrenamtliche werden gefunden und bringen sich mit ihren Kompetenzen ein. Ein allgemein zugängliches Café ergänzt diese Öffnung nach außen, von der er in höchsten Tönen schwärmt, weil sie die Stimmung verändert, ein neues Miteinander erlebbar macht. Das zieht auch Berufsinteressentinnen, Praktikanten und Zivildiener an.

Zurück zu Marios Vision. Warum sollten wir daran arbeiten, dass Pflegeheime Teil des Sozialraums sind? Pflegeheime, so Mario, sind nicht nur ein Ort der Sicherheit für die Bewohnerinnen, sondern ein Ort der möglichen Auseinandersetzung mit Grenzen für uns alle. Und ein Ort der Begegnung. »Hier kann man so viel lernen,« sagt er.

Blick in die Zukunft

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Ich stimme ihm zu – aber ich möchte ergänzen: Hier kann man nicht nur lernen, sondern hier sollten wir alle lernen. Nicht nur wir in der Pflege- und Demenz-Szene. Alle Menschen an ihren Lebensorten sollten durch kleine und auf Wunsch intensivere Kontakte Gelegenheit haben, zu lernen, was Menschsein ausmacht. Dass Alter, Schwäche, Angewiesensein dazugehört und wie das in Pflegeheimen gelebt wird im bunten Spektrum von Trauer und Annahme. Dass Schutz geben, Sorgen, Einbeziehen, Zuhören und Aushalten unsere Beiträge sind für das gelingende Leben im Alter, mit Einschränkungen.  

Wenn wir das Pflegeheim isolieren, die Menschen dort unsichtbar machen, ihren Lebensort als ungewollten und unbedingt zu vermeidenden letzten Ausweg einseitig besetzen, dann riskieren wir tatsächlich einen Teil unserer Menschlichkeit aufzugeben.

Was wir lernen können, wenn wir die Menschen im Pflegeheim nicht nur sehen, sondern ihnen zuhören und mit ihnen (er)leben, das lässt sich nicht in Seminaren vermitteln und das wird die Technik und die KI nicht für uns übernehmen.

Sorgen wir also gemeinsam dafür, dass Marios, dass unsere Vision wahr wird. Schaffen wir Rahmenbedingungen, damit Pflegeheime Teil eines gelingenden Sozialraums und ein Ort der Begegnung werden. Wir sind es uns allen schuldig.


Dieser Beitrag entspricht dem Vortrag, den Petra Rösler an der 7. Arbeitstagung der Plattform Demenzstrategie am 28. Mai 2024 in Velden am Wörthersee gehalten hat.