»Falle uns bitte nicht zur Last!« - demenzjournal.com
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Alter und Klischees

»Falle uns bitte nicht zur Last!«

Alte Menschen tanzen am Strand und lachen.

»Hinter der gesellschaftlichen Erwartung des fitten und engagierten Seniors steckt die Idee: Falle uns bitte nicht zur Last!«, sagt Klaus Rothermund. Bild Adobe Stock

Über das Alter gibt es eine Menge Klischees, die nicht der Realität entsprechen. Zum Beispiel, dass viele Ältere übellaunig und einsam werden. Der Altersforscher Klaus Rothermund über Diskriminierung und Stereotypen – woher sie kommen und wie wir damit umgehen können.

demenzworld: Das Bild vom alten Griesgram ist sehr populär. Was ist dran?

Klaus Rothermund: Das ist in der Tat ein beliebter Stereotyp. Einschlägige Studien zeigen aber, dass das so nicht stimmt. Menschen werden im Alter normalerweise eher milder und verträglicher, was sich in der sogenannte U-Kurve spiegelt: Während unser Wohlbefinden in jungen Jahren normalerweise hoch ist, sinkt es in den mittleren Jahren leicht ab. Mit dem Älterwerden steigt es dann wieder an, der berufliche Stress liegt meist hinter uns, wir haben mehr Freiheiten, unseren Interessen und Hobbys nachzugehen. Das heißt aber natürlich nicht, dass es nicht auch griesgrämige Alte gibt. Aber vielleicht ist das auch ein gesellschaftliches Problem.

Wie meinen Sie das?

Griesgrämigkeit im Alter kann auch ein Ausdruck von Frustration und Ärger sein, weil viele Menschen immer noch aufgrund ihres Alters diskriminiert werden. Wir leben in einer Gesellschaft, die alten Menschen nicht viel zutraut. Ich finde es berechtigt, sich darüber zu ärgern. Ältere sollen nicht schweigen müssen aus Angst, in die Kategorie Griesgram geschoben zu werden.

»Du hast dein Leben gelebt, nun halt mal schön die Klappe!«

Können Sie Beispiele für Ageismus nennen, die für Sie besonders schwerwiegend sind?

Vor einiger Zeit hat sich eine ältere Frau bei der deutschen Antidiskriminierungsstelle gemeldet und erzählt, dass sie sich bei einer Tanzschule anmelden wollte. Die Antwort war: »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die jungen Männer noch mit Ihnen tanzen wollen.« Ein anderes Beispiel: Bei Arztgesprächen richtet sich der Arzt oder die Ärztin oft an die Tochter, die dabei sitzt, anstatt an den betroffenen Menschen. Senioren werden oft nicht mehr für voll genommen und bekommen vermittelt: Du hast dein Leben gelebt, nun halt mal schön die Klappe.

Ist es wirklich so schlimm?

Ich könnte Ihnen noch viele weitere Beispiele von Altersdiskriminierung nennen. Diese negative Einstellung hat sicherlich auch mit dem demografischen Wandel zu tun, es gibt immer mehr Ältere. Daraus leiten viele die Haltung gegenüber den Alten ab: Sei bescheiden, denn die Ressourcen, die wir alle zur Verfügung haben, sind knapp.

Es gibt heute zahlreiche Alte, die sehr fit sind, ihr Leben in die Hand nehmen. Oft haben sie noch 20 oder 25 gute Jahre vor sich. Werden diese Menschen nach Ihrer Erfahrung auch diskriminiert?

Das ist subtiler. Die Norm des aktiven Alters ist extrem populär und wird von den Älteren gern angenommen, weil sie suggeriert: Du hast die Chance, alt zu werden, ohne alt zu sein. Dein Leben geht genauso weiter wie bisher, so lange du dich fit hältst, Risiken vermeidest, dich engagierst. Im Kern steckt hinter dieser gesellschaftlichen Erwartung aber die Idee: Falle uns bitte nicht zur Last.

»Es lohnt sich, verzeihen zu können und großherzig zu sein«

Das heißt, da ist ein neuer normativer Druck entstanden, »gut« zu altern, andere schaffen es ja schließlich auch.

Genau. Dahinter steckt aber eine Illusion, nämlich dass wir das Alter aus unserem Leben komplett verbannen können. Natürlich können wir Entwicklungen aufschieben oder verzögern, der abnehmenden Leistungsfähigkeit entgegenwirken. Aber das Alter wird uns immer einholen, früher oder später – spätestens dann wird die Norm des aktiven Alterns zu einer Bedrohung oder Belastung.

Ein weiteres Stereotyp besagt, dass viele Ältere im Alter einsam werden. Wie weit trifft das nach Ihrer Erfahrung zu?

Einsamkeit nimmt im Alter nicht zu. Wer im Alter einsam ist, war es auch schon in den mittleren Jahren, wie viele Studien zeigen, das hat mit der Persönlichkeitsstruktur zu tun. Entscheiden ist, wie man in sozialen Beziehungen funktioniert, welche Ansprüche man stellt, ob man etwa zur Verbitterung neigt, wenn die eigenen Vorstellungen nicht erfüllt werden.

Altersforscher Klaus Rothermund
Klaus Rothermund.Bild Anne Günther

Können Sie das genauer erklären?

Manchen Menschen fällt es schwer, die eigenen Ansprüche an die Realität anzupassen, sie sind von anderen leicht enttäuscht. Für das Alter ist das ein erheblicher Risikofaktor. Deshalb sollte man früh aufpassen und gegebenenfalls korrigieren, wenn man etwa dazu neigt, andere dafür verantwortlich zu machen, dass etwas im eigenen Leben nicht so gut geklappt hat, zum Beispiel die Partnerschaft auseinander gegangen ist. Es lohnt sich, verzeihen zu können, großherzig zu sein, gelegentlich über seinen Schatten zu springen, etwa wenn man sich mit seinen Kindern zerstritten hat.

Wie weit kann jemand, der zu Schüchternheit neigt, lernen, auf andere zuzugehen?

Das ist auf jeden Fall möglich, und man sollte frühzeitig damit beginnen. Natürlich fällt es nicht jedem leicht, sich anderen zu öffnen, aber das ist keine Frage des Alters. Man kann sich in kleinen Schritten vorwagen, zum Beispiel die Beziehung zu den Nachbarn pflegen. Die positiven Erfahrungen, die man dabei machen kann, sind eine gute Motivation.

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Gibt es einen Unterschied zwischen allein sein und einsam sein?

Das ist in der Tat nicht dasselbe. Es gibt alte Menschen, die allein leben und deren Kinder nur zweimal im Jahr zu Besuch kommen, trotzdem sind sie zufrieden, fühlen sich nicht einsam. Andere in derselben Situation haben das Gefühl, vergessen und vernachlässigt zu sein. Es ist also immer eine Bewertungsfrage. Die Antwort hängt davon ab, welche Ressourcen man hat, wie weit man aus sich schöpfen kann und wie sehr man sich nach außen öffnet. Wenn ich Hobbys nachgehe, bei denen ich andere Menschen treffe, wenn ich meine langjährigen Freundschaften intensiv pflege, werde ich mich eher nicht einsam fühlen.

Viele Ältere haben Angst, dement zu werden, jeder kennt in seinem Umfeld jemanden, der erkrankt ist. Was sagen Sie diesen Menschen?

Wenn man Leute fragt, wovor sie im Alter Angst haben, sagen tatsächlich fast alle: Ich habe Angst vor Demenz. Es erkranken aber deutlich weniger Menschen, als die meisten Leute glauben, sie überschätzen die objektive Wahrscheinlichkeit, die Krankheit zu bekommen. Natürlich kann es jeden treffen. Ich rate aber dazu, sich nicht im Vorhinein verrückt zu machen. Besser ist es, den Fokus auf das zu richten, was das eigene Leben reich macht.

Quelle YouTube

Klaus Rothermund (59) ist Professor für Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Mitglied der DFG-Forschergruppe »Discrimination and Tolerance in Intergroup Relations« sowie des Internationalen Graduiertenkollegs »Conflict and Cooperation between Social Groups«.