demenzworld: Das Bild vom alten Griesgram ist sehr populär. Was ist dran?
Klaus Rothermund: Das ist in der Tat ein beliebter Stereotyp. Einschlägige Studien zeigen aber, dass das so nicht stimmt. Menschen werden im Alter normalerweise eher milder und verträglicher, was sich in der sogenannte U-Kurve spiegelt: Während unser Wohlbefinden in jungen Jahren normalerweise hoch ist, sinkt es in den mittleren Jahren leicht ab. Mit dem Älterwerden steigt es dann wieder an, der berufliche Stress liegt meist hinter uns, wir haben mehr Freiheiten, unseren Interessen und Hobbys nachzugehen. Das heißt aber natürlich nicht, dass es nicht auch griesgrämige Alte gibt. Aber vielleicht ist das auch ein gesellschaftliches Problem.
Wie meinen Sie das?
Griesgrämigkeit im Alter kann auch ein Ausdruck von Frustration und Ärger sein, weil viele Menschen immer noch aufgrund ihres Alters diskriminiert werden. Wir leben in einer Gesellschaft, die alten Menschen nicht viel zutraut. Ich finde es berechtigt, sich darüber zu ärgern. Ältere sollen nicht schweigen müssen aus Angst, in die Kategorie Griesgram geschoben zu werden.
»Du hast dein Leben gelebt, nun halt mal schön die Klappe!«
Können Sie Beispiele für Ageismus nennen, die für Sie besonders schwerwiegend sind?
Vor einiger Zeit hat sich eine ältere Frau bei der deutschen Antidiskriminierungsstelle gemeldet und erzählt, dass sie sich bei einer Tanzschule anmelden wollte. Die Antwort war: »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die jungen Männer noch mit Ihnen tanzen wollen.« Ein anderes Beispiel: Bei Arztgesprächen richtet sich der Arzt oder die Ärztin oft an die Tochter, die dabei sitzt, anstatt an den betroffenen Menschen. Senioren werden oft nicht mehr für voll genommen und bekommen vermittelt: Du hast dein Leben gelebt, nun halt mal schön die Klappe.